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Unverdaute Trauer

Das Kulturthema Essen in George Taboris Holocaust-Dramen

dc.contributor.advisorBarner, Wilfried Prof. Dr.de
dc.contributor.authorBourger, Désiréede
dc.date.accessioned2012-04-16T17:44:06Zde
dc.date.available2013-01-30T23:51:05Zde
dc.date.issued2006-01-06de
dc.identifier.urihttp://hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-0006-AEE2-8de
dc.identifier.urihttp://dx.doi.org/10.53846/goediss-1272
dc.description.abstractDie Studie widmet sich den bedeutendsten Theaterstücken aus dem umfangreichen uvre des Dramatikers und Regisseurs George Tabori. Der Titel zitiert eine programmatische Äußerung Taboris über die Aufgaben und das Konzept seines Theaters: Dem Befund der unverdauten Trauer um die jüdischen Opfer des Holocaust entspringt und entspricht Taboris Überzeugung, dass wahre Erinnerung nur durch sinnliches Erinnern möglich sei, nämlich mit Haut, Nase, Zunge, Hintern, Füßen und Bauch . Dramaturgisch wirksam wird diese Überzeugung in den zahlreichen Essensszenen in Taboris Holocaust-Dramen, deren grundsätzliche Bedeutsamkeit die Tabori-Forschung längst konstatiert hat, deren je spezifische Ausprägungen und Funktionen aber in der vorliegenden Dissertation zum ersten Mal detailliert untersucht und mit dem Ziel eines erweiterten und vertieften Gesamtverständnisses der taborischen Holocaust-Dramatik interpretiert werden.Der erste Teil der Arbeit stellt dreierlei Vorüberlegungen zur Funktion des Essens in Taboris Theater vor: Er zeigt erstens anhand eines dramengeschichtlichen Rückblicks auf das deutsche Holocaust-Theater vor Tabori, welche Leistungen für die Auseinandersetzung mit den Verbrechen bereits erbracht und welche Defizite insbesondere bei der Darstellung der jüdischen Opfer Ende der 1960er Jahre noch festzustellen waren. Er exponiert zweitens die taborische Theaterkonzeption, die auf Konkretisierung, Emotionalisierung und Versinnlichung des Bühnengeschehens zielt und deren Metaphorik der Inkorporation auch die innerdramatischen poetologischen Reflexionen durchzieht und dabei rezeptionslenkend eingesetzt wird. Drittens wird im Anschluss an kultur- und literaturwissenschaftliche Untersuchungen das Sinnstiftungspotential des Kulturthemas Essen mit Blick auf dramatische Dichtung über die Shoah entfaltet.Der zweite Teil der Studie umfasst ausführliche Interpretationen von fünf zwischen 1969 und 1996 uraufgeführten taborischen Holocaust-Dramen: Die Kannibalen, Mutters Courage, Jubiläum, Mein Kampf und Die Ballade vom Wiener Schnitzel. Darin wird gezeigt, wie anhand des Essensthemas konkretisierend und emotionalisierend ein breites Spektrum von individuellen und kollektiven, religiösen und politischen, physischen und psychischen Erfahrungen und Folgen des Holocaust szenisch vergegenwärtigt wird. Als eine der wichtigsten Funktionen des Essensthemas lässt sich dabei die Realisierung der Opfer im doppelten Wortsinn erkennen: Taboris mitunter schockierende und mit Ekeleffekten kalkulierende Darstellung der physischen und ins Somatische verschobenen Leiden der jüdischen dramatis personae mit ihrer Appetitlosigkeit, ihren kranken Mägen und Gedärmen und ihren kulinarischen Idiosynkrasien löst die jüdischen Figuren aus der derealisierten Wirklichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen (Mitscherlich/Mitscherlich) und macht ihre Qualen sinnfällig. Realisierung lässt sich zudem als eine Option für das Publikum auffassen, nämlich im Sinne des Begreifens durch Bewusstmachung. Erst durch diesen Doppeleffekt der Realisierung können die Nachgeborenen der Täter Taboris Publikum die Opfer als Menschen und nicht als Abstraktionen (Tabori) wahrnehmen und sie betrauern.Der Hauptakzent der Drameninterpretationen liegt auf der Deutung der ritualistischen Essensszenen als neuinstituierter Erinnerungsrituale, die im Vollzug der Aufführung wirksam werden. Ihre Performanz und ihre jeweils mehr oder weniger deutlich anthropophage Nuancierung erweisen sich durchweg, gerade auch in der symbolischen Schlacht- und Kochszene von Mein Kampf, als ein Spezifikum des taborischen Holocaust-Theaters. In ihnen überlagern die religiösen Prätexte des Passah- und des Abendmahls sowie der Kappara einander als Sinngebungsmuster.Indem Tabori in allen in Frage stehenden Theaterstücken eucharistische Elemente zumal im Modus der Performanz aufnimmt, bietet er seinem Publikum die Teilnahme an vertrauten und dennoch (im doppelten Sinne der Stiftung und des Grundes) neu begründeten Gedächtnis- und Trauerritualen an, die nun der Erinnerung an die Shoah-Opfer gelten. Der Rückgang insbesondere auf die Eucharistie und auf ihre ontosemiologische Tradition (Hörisch) ist damit als neuinstituierte, Gedächtnis stiftende und Gemeinschaft schaffende liminale Aktivität zu begreifen, die Schauspieler und Publikum, Juden und Nicht-Juden, die Generation der Zeitzeugen und die Nachgeborenen in den Erinnerungsprozess einbindet. Zum unpolitischen, im Bestehenden verharrenden Kulinarismus im brechtschen Sinne, gar zum schmatzend einverstandenen Behagen (Adorno) hat dieses Theater dennoch keine Affinität das verbürgen die kannibalisch-makabren Assoziationen aller abendmahlnahen Essensszenen. Vielmehr eröffnen Taboris Stücke Möglichkeiten zur Verinnerlichung und Verdauung der Shoah und tragen als eine Spielart der vielfältigen redressive action (Turner) im öffentlichen Raum ohne vordergründige Propaganda (Tabori), aber darum nicht ohne politische Absichten, ihren Teil zu einer individuellen und kollektiven Trauerarbeit bei.de
dc.format.mimetypeapplication/pdfde
dc.language.isogerde
dc.rights.urihttp://webdoc.sub.gwdg.de/diss/copyr_diss.htmlde
dc.titleUnverdaute Trauerde
dc.title.alternativeDas Kulturthema Essen in George Taboris Holocaust-Dramende
dc.typedoctoralThesisde
dc.title.translatedUndigested Mourningde
dc.contributor.refereeLühe, Irmela von der Prof. Dr.de
dc.date.examination2002-12-05de
dc.subject.dnb800 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaftde
dc.description.abstractengThe study attends to the most important plays of the extensive works of the playwright and director George Tabori. The title Unverdaute Trauer (Undigested Mourning) quotes a programmatic comment of Tabori on the tasks and concept of his theatre: Tabori s conviction that true remembrance is possible only through sensual remembrance , namely by skin, nose, tongue, buttocks, legs, and stomach arises from the findings of undigested mourning of the Jewish victims of the Holocaust. This conviction takes effect dramaturgically in numerous eating and cooking scenes in Tabori s Holocaust plays. The researchers have been emphasizing the fundamental meaningfulness of these scenes for a long time, but the specific appearances and functions still remain to be analyzed and interpreted in detail. This is what this study focuses on for the first time.The first part of the study presents a threefold preliminary reflection on the function of mealtimes and ways of eating in Tabori s plays: first, a look back at the German Holocaust theatre before Tabori s appearance shows which work had already been done for a critical look at the crimes and which deficit especially in the portrayal of the Jewish victims had to be ascertained by the end of the 1960s. Secondly, the conception of Tabori s theatre is expounded: this conception s aim is to present issues most concretely in order to evoke strong emotions; metaphors of incorporation run through innerdramatic poetological reflections and are used to direct the reception of the audience. Thirdly, the study expounds basic reflections on the potential meaning of mealtimes in Holocaust plays.The second part of the study contains thorough interpretations of five Holocaust plays by Tabori: The Cannibals, My Mother s Courage, Jubilee, Mein Kampf and The Ballad of the Wiener Schnitzel. The analyses show how by means of the eating theme a vast spectrum of individual and collective, religious and political, physical and mental experience and consequences of the Holocaust are put on stage in concrete terms and in an emotionalizing way. Tabori s presentation of the suffering of the Jewish characters is sometimes shocking and calculates with effects of disgust (hunger or lack of appetite, ill stomachs and intestines, culinary idiosyncrasies). This makes the Jews pain obvious and takes the victims out of the de-realized reality of the national socialist crimes (A. Mitscherlich/M. Mitscherlich). So the descendants of the perpetrators, Tabori s audience, can perceive the victims as Menschen rather than as abstractions (Tabori) and mourn over them. The interpretations focus on the ritualistic scenes of eating as newly instituted rituals of remembrance becoming effective while and by being performed. Their performance and their more or less clearly anthropophageous nuances prove to be the characteristic of Tabori s Holocaust plays, in the symbolic scene of slaughter and cooking in Mein Kampf and in other plays. In these scenes religious rituals as the passach, the holy communion and the kapparot overlap as symbolic structures. They don t offer a conclusive interpretation of the events on stage, even less of the historic events behind them, but they create possibilities of reflection for the audience.Whenever Tabori takes over Eucharistic elements, especially in the mode of performance, he offers his audience a participation in well known and nevertheless new rituals of mourning and remembrance of the victims of the shoah. The borrowings from the holy communion and its onto-semiological tradition (J. Hörisch) can be understood as a newly instituted liminal activity (V. Turner) of remembrance and community, bringing together actors and audience, Jewish and Gentile, the generation of witnesses and the descendants in a process of remembrance. Tabori s plays offer them possibilities of digesting the shoah and as a variant of the diverse redressive action (V. Turner) they make their contribution to an individual as well as a collective mourning process.de
dc.contributor.coRefereeWichter, Sigurd Prof. Dr.de
dc.contributor.thirdRefereeMölk, Ulrich Prof. Dr.de
dc.title.alternativeTranslatedThe Cultural Theme of Eating in George Tabori`s Holocaust Playsde
dc.subject.topicPhilosophyde
dc.subject.gerHolocaustde
dc.subject.gerDramade
dc.subject.gerTheaterde
dc.subject.gerEssende
dc.subject.gerPerformanzde
dc.subject.gerGeorge Taboride
dc.subject.engHolocaustde
dc.subject.engDramade
dc.subject.engTheatrede
dc.subject.engEatingde
dc.subject.engPerformancede
dc.subject.engGeorge Taboride
dc.subject.bk17.82de
dc.subject.bk17.93de
dc.subject.bk17.97de
dc.subject.bk18.10de
dc.identifier.urnurn:nbn:de:gbv:7-webdoc-631-0de
dc.identifier.purlwebdoc-631de
dc.affiliation.institutePhilosophische Fakultätde
dc.subject.gokfullHSde
dc.identifier.ppn509239935de


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