Molekularanthropologische Untersuchungen zur präkolumbischen Besiedlungsgeschichte des südlichen Perus am Beispiel der Palpa-Region
Molecular anthropological investigations of the pre-Columbian settlement history in southern Peru by the example of the Palpa area
by Lars Fehren-Schmitz
Date of Examination:2008-04-30
Date of issue:2008-08-27
Advisor:Prof. Dr. Bernd Herrmann
Referee:Prof. Dr. Bernd Herrmann
Referee:Prof. Dr. Karl-Heinz Willroth
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Format:PDF
Description:Dissertation
Abstract
English
One of the elementary questions of the cultural sciences is whether and in which dimension cultural change is due to, or accompanied by population-biological change. This question is not finally decidable on the basis of the available sources of archaeology. The physical anthropology uses analytic tools, which allow access to the only archive containing information about the biological composition of a population: man itself. By the admission of ancient DNA analyses into the canon of anthropological methods, diachronic comparisons of genetic population structures and the clarification of relations under prehistoric populations become possible. The embedment of this study into the scientific framework of the BMBF-Project: Entwicklung und Adaptation archäometrischer Techniken zur Erforschung der Kulturgeschichte allows the transcription of the genetic data into cultural history by the transdiciplinary dialog with the participating sciences. The Palpa region located at the south coast of Peru is a culturally dynamic settlement chamber. In a period of approx. 6000 years the establishment of the first permanent settlements and also the rise and fall of complex societies can be observed. Aim of this study was to reconstruct the diachronic development of the matrilinear population dynamics in the investigation area by the analysis of mitochondrial genetic markers from ancient DNA. Beyond that the development of the Palpa area should be contextualized with the continental population development and colonization history by the comparison with genetic data from other pre-Columbian and recent indigenous South American populations. The genetic, archaeological and environmental data formed the basis for the anthropologic interpretation and reconstruction of the operating migration mechanisms and their influences on the past societies. For the investigations bone and teeth samples of 216 pre-Columbian individuals were acquired. The individuals came from several burial sites associated with settlements, dating into different archaeological periods. The DNA-analysis of the mitochondrial HVRI and different SNPs in the coding region of the mitochondrial genome was accomplished with newly generated analysis systems. Beyond that also analysis systems for Y-chromosomal and autosomal markers were developed and used. The obtained data was used for population genetic calculations and compared with datasets from the literature. The results of the aDNA investigations permit a reconstruction to the population history of southern Peru. It could be proven that the Paracas culture at the south Peruvian coast formed a population-biological unit and was not an accumulation of independent local groups as postulated before. The Nasca culture developed with population-biological continuity in the region. The comparison with other genetic data shows that the inhabitants of the pre-Columbian coast formed a homogeneous population differing genetically from the populations of the adjacent Andean highlands. With the change to a more complex economy and the development of self-sufficient regional (urban) centers in the Nasca time it comes to an increased allochthonous genetic influence, which can be explained by the immigration of specialists, population increase and the intensified trade with other cultural groups. The mitochondrial genetic structure of the recent Peruvian population differs significantly from that found in the pre-Columbian Palpa region. This difference can be best explained by the expansions of following Andean civilizations, particularly the Inca, which led to a genetic superimposition in large parts of western South America. On basis of the genetic data determined in this study and the comparison with recent genetic distribution patterns a more differentiated scenario for the initial colonization of South America could be developed. The present study shows that the investigation of ancient DNA provides a more differentiated picture of population development and prehistoric migration processes as possible by the analysis of modern genetic data alone.
Keywords: aDNA; South America; Palpa; Nasca; Peru; archaeology; migration; cultural evolution; Paracas; population genetics
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Eine der Grundfragen der Kulturwissenschaften ist, ob und in welcher Dimension kultureller Wandel durch bevölkerungsbiologischen Wandel bedingt oder begleitet wird. Diese Frage ist anhand der verfügbaren Quellen der Archäologie nicht endgültig entscheidbar. Die physische Anthropologie verfügt über analytische Werkzeuge, die den Zugang zu dem einzigen Archiv ermöglichen, das Informationen über die biologische Zusammensetzung einer Bevölkerung enthält: den Menschen. Durch die Aufnahme von ancientDNA Analysen in die anthropologischen Arbeitsmethoden sind diachrone Vergleiche genetischer Bevölkerungsstrukturen und die Klärung der verwandtschaftlichen Beziehungen unter prähistorischen Populationen möglich. Die Einbettung dieser Arbeit in den wissenschaftlichen Rahmen des BMBF-Verbundprojektes: Nasca: Entwicklung und Adaptation archäometrischer Techniken zur Erforschung der Kulturgeschichte ermöglicht es darüber hinaus auf eine Vielzahl kultur- und naturwissenschaftlicher Daten zuzugreifen und die gewonnen Erkenntnisse so im transdisziplinären Dialog in Kulturgeschichte zu übersetzen. Die Palpa-Region an der Südküste Perus ist eine kulturell dynamische Siedlungskammer, in der in einem Zeitraum von ca. 6000 Jahren die Sesshaftwerdung menschlicher Gruppen bis hin zur Entwicklung und dem Untergang komplexer frühstaatlicher Gesellschaften zu beobachten ist. Ziel dieser Studie war es, durch die Untersuchung mitochondrialer genetischer Marker an menschlichen Skelettelementen die diachrone Entwicklung der matrilinearen Populationsdynamik im Untersuchungsgebiet zu rekonstruieren. Darüber hinaus sollte, durch den Vergleich mit genetischen Daten von präkolumbischen und rezenten indigenen südamerikanischen Populationen, die Bevölkerungsgeschichte der Palpa-Region mit der kontinentalen Kolonisationsgeschichte und Bevölkerungsentwicklung Südamerikas kontextualisiert werden. Unter Verwendung der genetischen, archäologischen und umweltgeschichtlichen Daten erfolgte die kulturanthropologische Interpretation und Rekonstruktion der wirkenden Migrationsmechanismen und Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Strukturen. Für die Untersuchungen wurden Knochen- und Zahn-Proben von 216 präkolumbischen Individuen aus der Palpa-Region akquiriert. Die Individuen stammen von mehreren, mit präkolumbischen Siedlungen assoziierten Nekropolen, die in verschiedene Zeitstufen datieren. Die DNA-Typisierung erfolgte mit selbst generierten Analysesystemen, für die mitochondriale HVRI und verschiedene SNPs in der codierenden Region, des mitochondrialen Genoms. Darüber hinaus wurden auch Analysesysteme für Y-chromosomale und autosomale Marker entwickelt und angewendet. Die aus den präkolumbischen Individuen erwirtschafteten mitochondrialen Daten wurden genutzt, um populationsgenetische Berechnungen durchzuführen und wurden mit aus der Literatur gesammelten genetischen Daten verglichen. Die Ergebnisse der aDNA-Untersuchungen erlauben eine Rekonstruktion der Bevölkerungsgeschichte des südlichen Perus. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Paracas-Kultur an der südperuanischen Küste eine bevölkerungsbiologische Einheit bildete und nicht, wie von einigen Archäologen postuliert, eine Ansammlung unabhängiger lokaler Gruppen war. Die Nasca-Kultur entwickelte sich bei bevölkerungsbiologischer Kontinuität in der Region. Es lassen sich keine signifikanten allochthonen Bevölkerungseinflüsse, wie z.B. durch Kolonisations- oder Invasionsprozesse nachweisen. Der Vergleich mit anderen genetischen Daten zeigt, dass die Bewohner der präkolumbischen Küste eine homogene Bevölkerung bildeten, die sich genetisch eindeutig vom angrenzenden andinen Hochland unterschied. Mit dem Wandel von einer reinen Subsistenzwirtschaft zu einer komplexeren Wirtschaftsform und der Ausbildung autarker regionaler (urbaner) Zentren in der Nasca-Zeit kommt es zu einem vermehrten genetischen Einfluss von außen, der sich durch die Ansiedlung von Spezialisten, Populationszuwachs und der verstärkte Handel mit anderen Kulturgruppen erklären lässt. Die heute in Peru angetroffene mitochondriale genetische Struktur unterscheidet sich maßgeblich von der, die in der präkolumbischen Palpa-Region nachgewiesen werden konnte. Dieser Unterschied ist durch Expansionen und politische Prozesse späterer andiner Hochkulturen, vor allem der Inka-Kultur, zu erklären, die zu einer genetischen Überprägung weiter Bereiche des westlichen Südamerikas führten. Anhand der in dieser Studie ermittelten genetischen Daten und dem Vergleich mit rezenten Verteilungen kann ein erneuertes Szenario der initialen Kolonisation Südamerikas entworfen werden. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass anhand der Untersuchung alter DNA die Erstellung eines differenzierteren Bildes von Bevölkerungsentwicklungen und prähistorischen Migrationen möglich ist als durch die Analyse rezenter genetischer Daten.
Schlagwörter: aDNA; Südamerika; Palpa; Nasca; Peru; Archäologie; Migration; Kulturwandel; Paracas; Populationsgenetik