dc.description.abstract | Der Niederländer Johannes (Jan) Fredericus Samuel Esser (1877-1946) studierte in Leiden und Utrecht Medizin und Zahnmedizin. Er war Schiffsarzt, Kunsthändler, Geschäftsmann und Schachmeister von Leiden. Durch seine bahnbrechenden operativen Verfahren, die er im Ersten Weltkrieg entwickelte, machte er nicht nur in Brünn, Wien und Budapest auf sich aufmerksam, sondern auch in Deutschland, in Berlin. Deshalb wurde ihm 1917 eine Chefarztposition für das Fach plastische Chirurgie offeriert, außerdem eine eigene Station mit über 150 Betten. Zusätzlich wurde Esser der Professorentitel der Friedrich-Wilhelm-Universität in Aussicht gestellt. Esser nahm diese Stelle an und wirkte acht Jahre lang von 1917 bis 1925 in Berlin. Trotz seines herausragenden nationalen und internationalen Rufes geriet er vor allem in Deutschland in Vergessenheit und findet nach dem Zweiten Weltkrieg der Literatur kaum noch Erwähnung. Um diese Lücke zu schließen, wurden sowohl bisher nicht gehobene als auch unberücksichtigte Dokumente Berliner, Freiburger (im Breisgau) und Heidelberger Archive, jene von medizinischen Fachgesellschaften und Bibliotheken, aber auch solche aus dem Nationaal Archief in Den Haag, Niederlande für den Zeitraum von 1917 bis 1925 ausfindig gemacht, gesichtet und in Frage kommende Archivalien erstmals zur Auswertung herangezogen. Hinzu kamen bis dato nicht aufgeführte Mitschriften und Korrespondenz Essers aus der Berliner Zeit, die sich in dessen Familienarchiv, zur Zeit in Rijswijk, Niederlande, befanden. Ziel war es, Essers Profil und seine Verdienste um die plastische Chirurgie und sein Verhältnis zu Kollegen heraus zu arbeiten. Nach Auswertung des Materials wird im Ergebnis festgestellt, dass Esser als Chefarzt seiner Abteilung für plastische Chirurgie mit über 150 Betten und von 1915 bis 1924 mehr als 10.000 Eingriffe vornahm, wobei sich anhand der, trotz des Zweiten Weltkrieges noch erhaltenen Operationsbücher Essers, alleine für die Berliner Zeit gut 3000 Operationen verschiedenster Art auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie belegen lassen. Esser entwickelte zahlreiche neue Therapieverfahren. So zur Behandlung von Erfrierungen, die Optimierung der präprothetisch- kineplastischen Amputationsstumpfgestaltung, multiple Arterienlappen zur Deckung von Defekten des Gesichts, die Wangenrotationsplastik, welche heute noch zur Rekonstruktion von Wangendefekten etabliert ist. Er führte Gesichtshautstraffungen ( facelift ), Mammaplastiken, sowie plastisch-chirurgische Maßnahmen der Hand- und Fußchirurgie, wie beispielsweise den Ersatz von Fingern mit Zehen, durch. Wie die weiteren Untersuchungen ergaben, dozierte und praktizierte Esser neben seiner Tätigkeit als Spezialist für plastische Chirurgie an der königlichen Universitätsklinik, alleine in Berlin an weiteren 21 Krankenhäusern. Er führte auf Anfrage der ihrer Zeit bekanntesten Chirurgen Berlins konsiliarärztlich Operationen durch. Dabei bildete die plastisch- rekonstruktive Chirurgie des Gesichts den Schwerpunkt. Zu den bekanntesten Monographien Essers gehörten neben 68 mehrsprachig veröffentlichten Artikeln: Die Rotation der Wange und allgemeine Bemerkungen bei chirurgischer Gesichtsplastik (1918), Artery Flaps welche, wie erstmals herausgearbeitet wurde, bereits in Berlin in deutscher Sprache verfasst war (1929) und das Esser Inlay (1940). Esser hatte dessen Inhalt bereits seit 1917 in diversen Artikeln auszugsweise publiziert, wie nach Auswertung aller zu dieser Zeit von Esser herausgegebenen Veröffentlichungen belegt werden konnte. Trotz der Tatsache, dass Esser keine Facharztanerkennung besaß, wurde er zum fachärztlichen Beitrat für plastische Chirurgie des Gardekorps ernannt. Mit einer achtteiligen Vortragsreihe inaugurierte er für das Zentralkomitee des ärztlichen Fortbildungswesens in Preußen Fortbildungsveranstaltungen auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie und dozierte auf Tagungen führender Berliner Fachgesellschaften, wie der Berliner Medizinischen Gesellschaft und der Oto- Laryngologischen Gesellschaft zu Berlin. Esser bildete nur wenige Assistenten aus, die nahezu alle aus dem europäischen Ausland kamen und Anfang der zwanziger Jahre in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrierten. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Gustave Aufricht (1894-1980), Jacques W. Maliniac (1889-1976) und Joseph Safian (1886-1983). Aufricht und Maliniac waren 1931 Gründungsväter der ASPRS, der heute weltweit größten wissenschaftlichen Fachgesellschaft für plastische Chirurgie. Sie heißt seit 1999 ASPS. Die weitere Auswertung ergab, dass Esser neben dem Kunsthandel und Schachspiel mehrere Unternehmensgruppen und Firmen gründete, um seinen Immobilienbesitz in Berlin und im europäischen Ausland zu verwalten. Allein in Berlin besaß er über 200 Immobilienobjekte. Wegen falscher Deklarierung seines Vermögens (für 1924 ein abweichender Wert von 11.887.700,-- RM), richtete das Finanzamt erhebliche Nachforderungen an Esser. Hinzu kam eine Bußgeldforderung der Staatsanwaltschaft Berlin in Höhe von 1.200.006,60-- RM, so dass Esser Berlin überraschend verließ. Esser wurde zur Fahndung ausgeschrieben, doch das Verfahren gegen ihn wurde im April 1927 mangels Zustellbarkeit eingestellt und im Mai 1927 als zurückgenommen eingestuft. Nach seiner Berliner Zeit verfolgte Esser weiterhin seine Vision von der Gründung eines Freistaates für die plastische Chirurgie, die sich in Europa trotz aller Unterstützung mehrerer Nobelpreisträger und Staatsmänner nicht verwirklichen ließ. Esser reiste in die USA aus, um seine Familie vor den drohenden Folgen des bevorstehenden Zweiten Weltkrieges zu schützen. Doch es gelang nur seinem Sohn und ihm auszureisen. Essers Frau verblieb mit den Töchtern auf dem Wohnsitz der Familie in Monacco. Esser hatte nicht beabsichtigt, Europa für immer zu verlassen. In den USA wurde Esser keine Arbeitserlaubnis erteilt. Zusätzlich verlor er sein gesamtes liquides Vermögen an der Börse und konnte aufgrund der Auswirkungen des Krieges nicht auf sein umfangreiches Vermögen in Europa zurückgreifen. Esser - der Pionier moderner plastischer Chirurgie- verstarb 1946 im Alter von 68 Jahren in Chicago - in völliger Armut. | de |