Landnutzungswandel und Biodiversität
eine historisch-ökologische Analyse am Beispiel des Naturraumes Göttinger Wald
Landuse changes and biodiversity
a case study in the natural landscape unit
by Jessica Preutenborbeck
Date of Examination:2009-07-01
Date of issue:2009-08-26
Advisor:Prof. Dr. Renate Bürger-Arndt
Referee:Prof. Dr. Renate Bürger-Arndt
Referee:Prof. Dr. Werner Konold
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Format:PDF
Description:Dissertation
Abstract
English
The presented project was finished at the Research Training Programme Interdisciplinary Envi-ronmental
Keywords: landuse changes; biodiversity; historic landuse
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Das vorliegende Forschungsprojekt wurde im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs Interdisziplinäre Umweltgeschichte bearbeitet. Es hatte zum Ziel, die Wirkungen historischer Landnutzungsmuster auf die Vielfalt von Arten und Lebensgemeinschaften zu untersuchen. Als Untersuchungsgebiet wurde der für das niedersächsische Hügel- und Bergland typische Natur-raum Göttinger Wald ausgewählt. Der Naturraum umfasst sowohl bewaldete Höhenzüge, als auch agrarisch geprägte, lößüberlagerte Talmulden. Das Grundgestein bilden die Schichten des Muschelkalks. Der Untersuchungszeitraum beginnt am Ende des 18. Jahrhunderts und die Landnutzungsge-schichte wurde in fünf Zeitschnitten analysiert (1784, 1878, 1910, 1965, 200238), deren Datierung sich aus dem Aufnahmedatum des verwendeten topographischen Kartenmaterials ergab. Die Landnutzung wurde mit Hilfe eines GIS erfasst, bilanziert und analysiert. Zudem wurden Veränderungen der Landschaftstruktur und -diversität anhand von Landschaftsmaßen dargestellt. An-gaben zu spezifischen Landnutzungsformen und intensitäten wurden aus verschiedenen archivalischen Quellen, Primär- sowie Sekundärliteratur zusammengetragen. Die Zusammensetzung und Vielfalt der Arten und Lebensgemeinschaften wurde anhand floristischer Daten sowohl auf Ebene des gesamten Untersuchungsgebietes (Landschaftsebene) als auch auf Ebene einzelner Teilflächen nachvollzogen. Hierzu wurde historisches Quellenmaterial in Form von Florenlisten nach soziologischen und funktionellen Artengruppen (Hemerobie, Waldartenliste) und den Ellenbergschen Licht- Feuchte- und Stickstoffzeigerwerten ausgewertet. Auf Teilflächenebene konnte durch die Verbindung der Informationen zur jeweilig vorherrschenden floristischen Ausstattung, zum Standort und dem zeitgenössischen Landnutzungstyp eine Bestimmung von Biotoptypen erfolgen. Somit ließen sich eindeutige Beziehungen zwischen Veränderungen der Landnut-zungsstruktur, -form und intensität und der Ausprägung bestimmter Biotoptypen und ihres floristi-schen Arteninventars herstellen. Die Verbindung zwischen Landnutzungsänderungen und Biodiversitätsaspekten wurde anhand fol-gender Forschungsfragen untersucht: Welche Biotoptypen wurden durch welche Bewirtschaftungsformen begünstigt, in ihrer Ausprägung verändert oder verdrängt? Wie änderte sich die Artenzusammensetzung in Wald und Offenland und lassen sich Verbindungen zu bestimmten Landnutzungsänderungen herstellen? Wie änderte sich die räumliche Verteilung der unterschiedlichen Landnutzungen? Welchen Anteil hatte der Faktor Zerschneidung? Wie schlagen sich die Änderungen der Landschaftsstruktur im bilanzierenden Parameter der Landschaftsdiversität nieder? Wo gab es Schwerpunkte welcher Nutzungsform im Untersuchungsgebiet? Waren bestimmte Nutzungen dauerhaft oder temporär? Wie vollzogen sich Veränderungen der Nutzungsintensität oder -form? Welchen Einfluss hatten sozioökonomische Einschränkungen bzw. politische Vorgaben auf Land-nutzungsformen und Landnutzungsstruktur? Gibt es geschichtliche Ereignisse, die im Göttinger Wald bis heute raumwirksam in Bezug auf das Erscheinungsbild der Natur sind? Als besonders prägende Ereignisse der Landnutzungsgeschichte wurden für den bewaldeten Bereich die Einführung der Hochwaldwirtschaft und die Umwandlung der Nieder- und Mittelwaldbestände ab der Mitte des 19. Jahrhunderts identifiziert. Der Umwandlungsprozess ist in Teilen des Untersu-chungsgebie! tes bis heute sichtbar (in einigen Genossenschaftsforsten wurde mit der Umwandlung erst ab 1935 begonnen). Die Erziehung von einschichtigen, überwiegend buchendominierten Hochwaldbeständen wurde nach der Ablösung der Waldhute und triftberechtigungen unter Aus-hieb alter Edellaubholz- und Eichen-Oberständer, Abtrieb von Weichholz-Unterständen und Pflan-zung von (hauptsächlich) Buchen durchgeführt. Diese Maßnahmen brachten tiefgreifende Veränderungen in der floristischen Artenzusammenset-zung und der Ausprägung verschiedener an den Wald gebundener Biotoptypen mit sich. Insbeson-dere die erhebliche Förderung und Pflanzung der Buche (Fagus sylvatica) bewirkte innerhalb von rela-tiv kurzer Zeit (10-15 Jahre) eine wesentliche Verringerung des Lichtangebotes innerhalb der Be-stände. Die Artenzusammensetzung der Bodenvegetation verschob sich zugunsten schattentoleran-ter Arten und der Anteil der Arten der Waldränder und Waldlichtungsfluren ging ab dem zweiten Zeitschnitt (1878) kontinuierlich zurück. Dies ist auch in Verbindung mit dem Rückgang an Saum-strukturen in der Feldmark (s.u.) und einer immer steileren vertikalen Schichtung der Waldränder zu sehen. Die Veränderung der Biotoptypen auf Teilflächenebene deutet jedoch insbesondere auf einen Zusammenhang mit der veränderten Waldbewirtschaftungsform hin. In den Teilflächen sind die floristischen Angaben eindeutig zuzuordnen und im Verlauf der fünf Zeitschnitte wurde durch die Umwandlung die typische Form des mesophilen Kalkbuchenwaldes gegenüber den Biotoptypen des felsigen Schatthang- und Schluchtwaldes auf Kalk, des Buchen- und Eichenmischwaldes trockenwarmer Kalkstandorte, des Ahorn-Lindenwaldes trockenwarmer Kalk-schutthänge und des Eichen-Hainbuchen-Mischwaldes mittlerer, mäßig basenreicher Standorte ein-deutig begünstigt. Hinzu kam die Zunahme der Fichten- und Kiefernreinbestände durch Auffors-tung ertragsarmer oder nasser Standorten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, die kleinflächige Sonderbiotoptypen wie z.B. Quell- oder bachbegleitenden Wald oder auch Felsrasen und Hangschutt-wald ablösten. Erst ab Mitte der 1970er Jahre ist durch die erneute Förderung des Edellaubholzanteils und im Rahmen der Anfänge der naturnahen Waldwirtschaft eine erneute Wende im Lebens-raumpotential des Naturraumes zu verzeichnen. Insbesondere die standortgerechte Bewirtschaftung (Bestockung) der genannten Sonderbiotope trägt zur Erweiterung des Spektrums an vorkommenden Biotoptypen bei. Im überwiegend ackerbaulich genutzten Teil des Untersuchungsgebietes stellten die Auflösung der Allmenden und der Verkoppelungsprozess die tiefgreifendesten Landnutzungsänderungen dar. Sie gingen einher mit der Aufforstung zahlreicher Weideflächen, ermöglicht durch die vermehrte Stallhaltung des Viehs, der Neuanlage eines Wegenetzes in der Feldmark unter Rodung von Heckenstrukturen und Feldgehölzen sowie dem verstärkten Weizen- und Zuckerrübenanbau unter Einsatz künstlicher Düngemittel. Insbesondere die damalige Neuordnung der Flur unter Beseitigung der Strukturelemente, die sich entlang der vormaligen Besitzgrenzen zogen, ist bis heute prägend für das Erscheinungsbild der Feldmark. Auf Landschaftsebene schlugen sich die einhergehenden Maßnahmen in einer erheblichen Erhö-hung der Fragmentierung der Landschaft durch Verkehrswege nieder, sowie in einer Erhöhung des Waldanteils. Die räumliche Anordnung und Verteilung der Landnutzungstypen zeigt sich dadurch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als eher ungünstig für die Landschaftsdiversität. Für die assoziierten Offenland-Biotoptypen ist ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ein erheblicher Flächenrück-gang der (beweideten) Grünlandtypen auf Magerstandorten sowie Gebüschgesellschaften trocken-warmer Standorte identifiziert. Die floristische Entwicklung zeigt einen Rückgang der Arten der Saumgesellschaften und der Kalkmagerrasen bei gleichzeitiger Zunahme nitrophiler Arten des Grünlandes und der Acker-Beikrautfluren. Ab dem aktuellen Zeitschnitt führen eine erneute Erhöhung des Grünlandanteils durch Wasser-schutzmaßnahmen und gesetzliche Flächenstilllegungen sowie ein Rückgang der intensiv bewirt-schafteten Ackerflächen zu einer insgesamt günstigeren Bilanz der Landschaftsdiversität. Auch der Anteil der im Rahmen der Hobby-Tierhaltung wieder beweideten Flächen nimmt zu und ein Teil des Wegenetzes wurde zurückgebaut bzw. offengelassen. Für das Potential zur Ausbildung vielfältiger Lebensräume in der Landschaft sind diese Faktoren zunächst positiv zu bewerten. Die genann-ten Trends der floristischen Entwicklung zeigen sich jedoch ungebrochen und die potentiell beson-ders artenreichen Biotoptypen der Kalkmagerrasen und Gebüsche trockenwarmer Standorte werden aktuell nur auf kleiner Fläche durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege künstlich erhalten. Die Ergebnisse des Projektes zeigen, dass die Bereitstellung vielfältiger Lebensräume und somit eines möglichst hohen Potentials zum Erhalt der Biodiversität sowohl mit langfristig und auf Land-schaftsebene raumwirksamen Ereignissen verknüpft ist, als auch in Abhängigkeit vom Erhalt kleinflächiger standörtlicher Besonderheiten und ihrer Bewirtschaftung zu sehen ist. Es wurde sichtbar, dass Maßnahmen zum Erhalt bzw. zur Erhöhung des Lebensraumpotentials nur durch Integration in laufende Nutzungsprozesse und in Verbindung mit einer günstigen Anordnung und Verteilung der Nutzungstypen und ihrer assoziierten Lebensräume in der Landschaft erfolgreich sein können.
Schlagwörter: Landnutzungswandel; Biodiversität; historische Landnutzungsform