Reelin-immunreaktive Zellen im prälimbischen Kortex männlicher Ratten: Einfluss von Stress

Abstract

Einleitung: Im adulten Gehirn von Säugetieren fördert das Glykoprotein Reelin durch seine Wirkung auf das Aktin-Zytoskelett die Strukturstabilität von Neuronenfortsätzen. Vorangegangene Arbeiten zeigten, dass neuronale Dendriten unter Einwirkung von chronischem Stress in verschiedenen für die Stressantwort wichtigen Hirnregionen retrahieren, unter anderem im medialen präfrontalen Cortex (mPFC) von männlichen Ratten. Die vorliegende Arbeit untersucht einen möglichen Zusammenhang zwischen dem stabilisierenden Einfluss des Glykoproteins Reelin auf Neuronenfortsätze, und dem Einfluss von chronischem Stress, der die Retraktion von Neuronenfortsätzen bewirken kann. Dazu wurde die Zahl der Reelin-immunreaktiven Zellen in Schicht I des prälimbischen Cortex (PLC) männlicher Wistar-Ratten nach chronischem Stress bestimmt, einer Hirnregion im mPFC, die wichtig für die Stressantwort ist. Desweiteren untersucht diese Arbeit, ob eine pränatale Behandlung der Muttertiere mit dem Immunstimulanz Poly I:C einen Effekt auf die Zahl der Reelinzellen im prälimbischen Kortex hat. Schließlich wird Reelin laut Literatur im adulten Hirn unter anderem von GABAergen Interneuronen, Calbindin-positiven Neuronen und Oligodendrozyten exprimiert. Dies sollte in der vorliegenden Arbeit anhand von Fluoreszens-Doppelmarkierungen überprüft werden.Methoden: Es wurde mit Hilfe immunhistochemischer Methoden und einer Auszählung am Mikroskop a) überprüft, ob chronischer psychosozialer Stress einen Effekt auf die Dichte von Reelin-immunreaktiven (Reelin(+)-) Zellen in Schicht I des linken und rechten prälimbischen Kortex von adulten Wistar-Ratten im Vergleich zu Kontrolltieren hat; b) überprüft, ob eine Behandlung der Muttertiere (Sprague-Dawley-Ratten) mit dem Immunstimulans Poly I:C einen Effekt auf die Dichte von Reelin(+)-Zellen in Schicht I des linken und rechten prälimbischen Kortex der adulten, männlichen Nachkommen hat. Außerdem wurde untersucht, ob eine Stressexposition in der juvenilen Phase der Nachkommen, sowie die Kombination beider Behandlungen (Poly I:C und juveniler Stress) einen Einfluss auf diese Parameter hat; c) die Dichte von Reelin(+)- Zellen in Schicht I der rechten und der linken Hemisphäre des prälimbischen Kortex von juvenilen Wistar-Ratten analysiert, die keiner Behandlung ausgesetzt waren, um Rattenstamm-spezifische Phänomene in den Daten aus b) auszuschließen; d) bestimmt, ob Kolokalisationen von Reelin mit Glutamat-Decarboxylase 67 (Marker für GABAerge Neurone), Calbindin, dem sauren Gliafaserprotein GFAP (Marker für Astrozyten) und dem NG2-Proteoglykan (Marker für Oligodendrozyten-Progenitorzellen) vorliegen.Ergebnisse: Es zeigte sich in den unbehandelten Tieren eine Rattenstamm-unabhängige, höhere Dichte Reelin-immunreaktiver Zellen in der linken Assoziationsfaserschicht des prälimbischen Kortex im Vergleich zur rechten Hemisphäre. Diese Beobachtung zeigte sich nach der Einwirkung von chronischem psychosozialen Stress invertiert. Während hierbei die Dichte der Reelinzellen in der linken Assoziationsfaserschicht des prälimbischen Kortex nach Stress gleich blieb, erhöhte sie sich in demselben Areal auf der rechten Seite. Eine pränatale Behandlung mit Poly I:C oder juvenilem Stress sowie die Kombination beider hatten dagegen keinen Einfluss auf die linksgewichtete Verteilung von Reelin-positiven Zellen in diesem Hirnabschnitt. Kolokalisationen mit GAD67 wurden in zahlreichen Zellen gefunden, was frühere Befunde bestätigt, dass Reelin in GABAergen Neuronen exprimiert wird. Kolokalisationen mit Calbindin waren nur selten, und solche mit GFAP und NG2-Proteoglykan nicht zu beobachten, d.h. Reelin kam weder in Astrozyten noch in Oligodendrozyten -Progenitorzellen vor.Diskussion: Eine mögliche Funktion der unter Normalbedingungen vorkommenden, asymmetrischen Verteilung (linksgewichtet) der Reelinzellen mag in der Stabilisierung der Fortsätze von sich differenzierenden Gliazellen liegen, deren Neubildungsrate auf der linken Seite höher ist als auf der rechten; dies war in früheren Arbeiten bereits gezeigt worden. Als mögliche Ursache der inversen, nun rechtsgewichteten Verteilung Reelin-positiver Neurone nach chronischem, psychosozialen Stress kommt am ehesten eine Aktivierung des RELN-Gens durch die stressinduzierte Lateralisierung des dopaminergen bzw. des serotoninergen Systems in Betracht. Die Funktion der hinzugekommenen Reelin-immunreaktiven Zellen mag in einer schützenden Stabilisierung und damit in der Funktionserhaltung der in der rechten Assoziationsfaserschicht des prälimbischen Kortex befindlichen Neurone unter Stress liegen. Die asymmetrische Verteilung der Reelin-positiven Zellen in der Assoziationsfaserschicht des prälimbischen Kortex sowohl unter Kontrollbedingungen (linksgewichtet) als auch nach chronischem psychosozialen Stress (rechtsgewichtet) stellt den neuen Befund der vorliegenden Arbeit dar.