Die Politisierung der ethnischen Differenz
Ethnische Mobilisierung und Ethnopolitik in Estland seit der Perestrojka
The Politization of Ethnic Differences.
Ethnic mobilization and ethno-policy in Estonia after Perestrojka
von Stephanie Dittmer
Datum der mündl. Prüfung:2003-05-07
Erschienen:2004-06-16
Betreuer:Prof. Dr. Horst Kern
Gutachter:Prof. Dr. Horst Kern
Gutachter:Prof. Dr. Peter Lösche
Gutachter:Prof. Dr. Wolf-Sighard Rosenbaum
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Name:dittmer.pdf
Size:854.Kb
Format:PDF
Description:Dissertation
Zusammenfassung
Englisch
The thesis examines processes of ethnic mobility under the conditions of the transition of former Soviet Republics, which are characterised by the existence of a large Russian minority within the total population, to market economies. This research issue is examined by means of a case study on the former Soviet Republic of Estonia, which became a sovereign state in 1991 and where Russians constitute more than 30% of the population. In order to estimate their uniqueness and generalizability, the findings of the case study are compared to the situation in the Ukraine. After discussing the theoretical preconditions for ethnic mobilisation in general, ethno-policy and cultural standardization are examined as crucial factors for discrimination and exclusion of the Russian minority in Estonia. The change of ethnic relations after the breakdown of the Soviet Union and the advent of "new" nationalism in the former Soviet Republics, as well as new regulations of citizenship and language policies, are core aspects of this part of the analysis. The author argues that together with regional disparities these changes in policies and regulations affected dramatically the social structures of the Estonian and Russian population, pushing the Russians more and more to the edge of the Estonian society and economy. The author's core argument is that the current ethnic situation in Estonia results from successful ethnic mobilisation of the Estonians during the downfall of the Soviet system and a failure of ethnic mobilisation of the Russian population in response to the emerging nationalism of and discrimination through the Estonians. The analysis of the current situation and possible future developments - with special attention to the EU enlargement - shows that despite a certain lack of "political agents" among the Russian minority in Estonia, it cannot be taken for granted that the achieved status of "ethical peace" will continue in the long run. Thus, the concept of Estonia as a model for the successful pacification of ethnic conflicts is clearly denied. In contrast, according to the author, the EU, which so far has not provided a solution for minority and ethnic problems, must be prepared for such conflicts to gain new explosive force after the EU enlargement.
Keywords: Ethnic Conflict; Estonia; ethnicity; ethnic mobilization; ethnic minorities; European Union; Baltic States; discrimination
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Die Dissertationsarbeit untersucht anhand des Fallbeispiels Estlands, das bis 1991 sowjetische Republik war und seither unabhängig ist, Prozesse ethnischer Mobilität unter den Bedingungen der marktwirtschaftlichen Transformation früherer Sowjetrepubliken. Kennzeichen vieler dieser Republiken ist ein verhältnismäßig hoher Anteil von Russen an der Gesamtbevölkerung; in der Republik Estland beläuft er sich auf über 30 Prozent. Anhand eines Vergleichs mit der Ukraine werden die Ergebnisse der Fallstudie auf ihre Generalisierbarkeit geprüft. Aus der Diskussion der theoretischen Voraussetzungen ethnischer Mobilisierungen im Allgemeinen werden Ethno-Politik und kulturelle Standardisierung als zentrale Momente der Diskriminierung und Exklusion der russischsprachigen Minderheit in Estland identifiziert. Der Wandel der ethnischen Beziehungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und das Aufkommen eines neuen" Nationalismus in den früheren Sowjetrepubliken bilden zusammen mit der Regelung der Staatsbürgerschaft und der Sprachenpolitik die zentralen Aspekte dieses Teils der Analyse. Das Argument der Autorin hierzu lautet, dass dieser Politikwandel und neue gesetzliche Regulationen zusammen mit regionalen Disparitäten die Sozialstrukturen der estnischen und der russischen Bevölkerung erheblich beeinflusst haben, wodurch die russischsprachige Minderheit immer weiter an den Rand der estnischen Volkswirtschaft und Gesellschaft gedrückt wurde. Die Hauptthese der Autorin ist, dass die gegenwärtige Situation in Estland als das Ergebnis einer erfolgreichen ethnischer Mobilisierung der Esten während des Niedergangs des Sowjetsystems einerseits und des Misslingens ethnischer Mobilisierung der russischsprachigen Minderheit als Reaktion auf den aufkommenden Nationalismus und die damit verbundene Diskriminierung durch die Esten andererseits angesehen werden muss. Die Analyse der ethnischen Beziehungen in Estland und ihrer zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten, wobei der EU-Osterweiterung besondere Aufmerksamkeit beigemessen wird, zeigt, dass trotz des Mangels an ethnopolitischen Akteuren in der russischen Minderheit keineswegs davon ausgegangen werden darf, dass der erreichte Status eines ethnischen Friedens" auf Dauer erhalten bleiben wird. Konsequent erteilt die Autorin deshalb auch der Vorstellung, Estland sei ein Modellfall für die erfolgreiche Pazifizierung ethnischer Konflikte, eine klare Absage. Im Gegenteil, so die Autorin, sollte die EU, welche selbst bisher keine nachhaltige Lösung für Minderheitsprobleme und ethnische Konflikte entwickelt hat, eher darauf vorbereitet sein, dass solche Konflikte nach der Osterweiterung neue Sprengkraft entwickeln werden.
Schlagwörter: Ethnische Konflikte; Estland; ethnische Mobilisierung; Ethnizität; ethnische Minderheiten; Diskriminierung; Osteuropa; baltische Staaten; Europäische Union; 300 Sozialwissenschaften; Soziologie