Zur sozialen und kulturellen Bedeutung stimmungsverändernder Medikamente. Erfahrungen von deutschen Hausarztpatienten, spanischen Migranten in Deutschland und im Herkunftsland lebenden Spaniern
Social meanings of mood-modifying medicines. Experiences of German primary care patients, Spanish migrants in Germany and Spaniards living in Spain
by Anja Hernández
Date of Examination:2012-03-19
Date of issue:2012-05-02
Advisor:Prof. Dr. Dr. Peter Alheit
Referee:Prof. Dr. Dr. Peter Alheit
Referee:Prof. Dr. Wolfgang Himmel
Referee:Prof. Dr. Nicolle Pfaff
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Abstract
English
Aims: To uncover the social meanings of mood-modifying drugs and to describe the underlying connotations from the users' perspective of three different samples. They consist of German primary care patients, Spanish migrants in Germany and Span-iards living in Spain. The interviews were conducted in Spanish and German. Methods and Main Outcomes: All three samples of the study were embedded in a primary care setting. Face-to-face interviews with users of mood-modifying drugs were audio taped and transcribed. Patients' concepts of mood-modifiers were ex-tracted by theoretical coding. The method used is entitled Prospective Meta Ethnog-raphy. It is an iterative method, based on the principles of Grounded Theory, which involves the comparison of concepts developed in one study team with those devel-oped in other teams. As key concepts are identified and compared, the method does not require the translation of entire interviews into a common language. The attitudes of many patients towards mood altering pharmaceuticals changed throughout the course of the treatment. The beginning of the therapy was usually accompanied by fears and reluctance. Patients feared that the prescribed drugs might affect their personality and change their behaviour towards others. This is contrasted by positive experiences within the later phase of the treatment. The management of the therapy was conducted with more confidence and autonomy. Self-regulation mechanisms, strategies of coping with the symptoms, communication and information were important mediators in this development. Theoretical Background: This study deals with drug-taking careers of patients who took mood-modifying drugs. Theoretical background of this thesis is drawn from Goffman's (1975) „moral career“, Gerhardt's (1986) inquiry of the „patient career“ and Twaddle's (1977) concept of a “sickness career“. The concepts of „autonomy“, „self-regulating behaviour“ as well as „identity and change“ should complement the con-cept of „career“. In terms of the therapy and drug management of the three samples, similarities and differences can be pointed at various evident passages. The main focus of this research is centered on the group of Spanish migrants. Results: The following topics emerged from the patients' descriptions of their drug taking behaviour and their perceptions of mood-modifiers: involvement in the deci-sion-making process, the role of health professionals, relatives and friends, ways of self regulation, control, compliance, stigma, and normality. These topics are relevant to understand patients' concepts of drugs. Interestingly, during the course of taking mood-modifiers, patients' attitudes seemed to change: e.g., at the onset of therapy, patients were reluctant towards mood-modifying drugs, some were anxious that the-se drugs might change their character and identity; others were concerned about the risk of addiction. Later on, users often handled their treatment more self-confident and became more autonomous e.g. towards their GP. This change seemed to be encouraged sometimes by developing more initiative and sometimes by a change in the perception of the mood-modifiers themselves. Interestingly there were only minor differences found between the three groups studied. Conclusions: It may be an important task for primary care doctors to address atti-tudes and perspectives of patients taking mood-modifiers and to recognize changes in patients' ideas about medicines. This may enhance patients' compliance and the concordance between patients and doctors. The use of knowledge about the bio-graphic ressources, which are used as device to deal with mood-modifying drugs, is not only limited to the Spanish migrants. Doctor-patient relationships could be im-proved by knowing more about the typical changes in the evaluations of mood-modifying drugs and how they alter the patients' decision-making processes.
Keywords: mood-modifying medicines; Physican-Patiant-Relation; Compliance; Personal Autonomy; Qualitative Resaerch
Other Languages
Ziele: Die Aufdeckung der sozialen
Bedeutungen stimmungsverändernder Medika-mente und die Beschreibung
der diesen zugrundeliegenden Bewertungen aus der Patientensicht
drei verschiedener Stichproben: deutschen Hausarztpatienten,
spanischen Migranten und in Spanien lebenden Spaniern. Methoden und
zentrale Ergebnisse: Alle drei Stichproben der Studie befanden sich
in einem hausärztlichen Behandlungskontext. Die
face-to-face-Interviews mit den Nutzern stimmungsverändernder
Medikamente wurden auf Tonband aufgenommen und transkribiert. Die
Vorstellungen der Patienten zu den Stimmungsaufhellern wurden über
ein theoretisches Kodierverfahren extrahiert. Verwendete Methode
war die prospektive Meta-Ethnographie. Diese iterative Methode
beruht auf den Grundsätzen der Grounded Theory und schließt
vergleichend, die von anderen Forschergruppen entwickelten Begriffe
ein. Dieses Verfahren erfordert keine Übersetzung vollständiger
Interviews in eine gemeinsame Sprache, da die Schlüsselbegriffe
identifiziert und verglichen werden. Die Einstellungen vieler
Patienten gegenüber Psychopharmaka veränderten sich im Laufe der
Behandlung. Der Therapiegewinn war für gewöhnlich von Ablehnung und
Angstgefühlen begleitet. Die Patienten befürchteten, dass die ihnen
verschriebenen Medikamente ihre Persönlichkeit bedrohen und ihr
Verhalten gegenüber anderen Personen verändern könnten. Dies wird
positiven Erfahrungen in der fortgeschrittenen Behandlungsphase
gegenübergestellt, in der das Therapiemanagement mit größerem
Vertrauen und einer höheren wahrgenommenen Autonomie durchgeführt
wurde. Selbstregulationsmechanismen, Coping-Strategien,
Kommunikation und In-formation waren wichtige Vermittlungsinstanzen
in dieser Entwicklung. Theoretischer Hintergrund: Diese
Untersuchung befasst sich mit Karrieren von Personen, die
verschreibungspflichtige stimmungsverändernde Medikamente über
einen längeren Zeitraum eingenommen haben. Theoretischer
Hintergrund wird von Goffmans „moral career“ (1975), Gerhardts
Untersuchung über „Patientenkarrieren“ (1986) und Twaddles Begriff
der „sickness career“ (1977) gebildet. Die Begriffe „Au-tonomie“,
„selbstregulatives Verhalten“ sollen ebenso wie „Identität und
Wandel“ den Karrierebegriff ergänzen. In Bezug auf die drei
Stichproben können Ähnlichkei-ten und Unterschiede an verschiedenen
aussagekräftigen Passagen ermittelt wer-den. Im Fokus dieser
Untersuchung lag die Gruppe der spanischen Migranten. Ergebnisse:
Die folgenden Themen bildeten sich aus den Patientendarstellungen
ihres Einnahmeverhaltens und ihrer Wahrnehmungen der
stimmungsverändernden Medikamente heraus: die Einbeziehung in den
therapeutischen Entscheidungsprozess, die Rolle des medizinischen
Personals, der Verwandten und Freunde, Möglichkeiten der
Selbstregulation, Kontrolle, Compliance, Stigmatisierung und die
Wiedererlangung von Normalität. Diese Themen sind relevant, um die
Auffassung der Patienten gegenüber ihren Medika-menten zu
verstehen. Interessanterweise schienen sich die Einstellungen der
Patienten im Laufe der Medikamenteneinnahme zu ändern. Zum Beispiel
zeigten sich die Patienten zu Therapiebeginn ablehnend gegenüber
stimmungsverändernden Medikamenten, und einige befürchteten, dass
diese Medikamente ihren Charakter oder ihre persönliche Identität
verändern könnten, andere sorgen sich über die Gefahr einer
Abhängigkeit. Später regulierten einige Nutzer ihre medikamentöse
Behandlung oft mit größerem Selbstvertrauen ge-genüber ihren
Hausärzten. Diese Veränderung wurde anscheinend durch das häufigere
Ergreifen von Eigeninitiative angeregt und bisweilen durch eine
veränderte Wahrnehmung der stimmungsverändernden Medikamente
selbst. Interessanterweise gab es nur geringe Unterschiede zwischen
drei untersuchten Gruppen. Fazit: Es kann eine wichtige Aufgabe für
Hausärzte darstellen, sich mit Einstellungen und Perspektiven von
Patienten zu befassen, die stimmungsverändernde Medikamente
einnehmen und Veränderungen in den medikamentenbezogenen
Vorstellungen der Patienten zu erkennen. Dies könnte die Compliance
der Patienten und das Einverständnis zwischen Patienten und Ärzten
erhöhen. Die Anwendung von Kenntnissen über die biographischen
Res-sourcen, die als Hilfsmittel für den Umgang mit
stimmungsverändernden Medikamenten genutzt werden, erstreckt sich
nicht nur auf die Gruppe der (spanischen) Migranten.
Arzt-Patienten-Beziehungen können verbessert werden, wenn mehr über
die typischen Veränderungen in den Bewertungen
stimmungsverändernder Medikamente und darüber, wie diese die
Entscheidungs-prozesse der Patienten beeinflussen, bekannt
ist.
Schlagwörter: stimmuungsverändernde Medikamente; Arzt-Patient-Beziehung; Compliance; Selbstregulation; Qualitative Forschung