dc.description.abstracteng | Lithium wird seit Jahrzehnten bei der Behandlung von bipolaren Affektstörungen, Manie,
Depression und Cluster-Kopfschmerz verwendet. Zusätzlich zeigte die Gabe von Lithium
auch in einer Vielzahl präklinischer Tierexperimente und in einer klinischen Studie
neuroprotektive Effekte bei ischämischem Schlaganfall. Dies ist von herausragendem
Interesse, da in der Behandlung des ischämischen Schlaganfalls bisher keine adjuvante
verlaufsmodulierende pharmakologische Therapie existiert. Die derzeit angewandten
Therapieformen haben ausschließlich die kausale Rekanalisierung der verschlossenen Gefäße
im akuten Stadium des Schlaganfalls zum Ziel, von denen aufgrund von engen Zeitfenstern
und Kontraindikationen nur eine Minorität der Patienten profitiert. In vorangegangenen
Tierexperimenten äußerte sich die lithiuminduzierte Neuroprotektion akut durch eine
Reduktion des Schlaganfallvolumens sowie eine verringerte neuronale Apoptose und
langfristig durch eine verbesserte neurologische Erholung. Die genauen Wirkmechanismen
sind allerdings bisher unbekannt. Die bisher einzige randomisierte Doppelblindstudie gab
ebenfalls erste Hinweise auf einen gesteigerten Erhalt der motorischen Funktionen durch
Lithiumbehandlung bei Patienten mit erstmaligem kortikalem ischämischem Schlaganfall.
Weitere klinische Studien sind zwingend notwendig. Hierfür ist ein besseres Verständnis der
Mechanismen der lithiuminduzierten Neuroprotektion sowohl zur Identifizierung von
neuroprotektiven Mechanismen im Allgemeinen als auch für eine bessere Patientenselektion
für zukünftige klinischen Studien im Speziellen notwendig.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es deshalb, zugrundliegende Mechanismen der
lithiuminduzierten Neuroprotektion zu identifizieren. Die hierbei aufgestellte Hypothese
war, dass Lithium eine protektive Wirkung auf die Bluthirnschranke hat, welche in der
Pathophysiologie des ischämischen Schlaganfalls eine herausragende Rolle einnimmt.
Hierfür wurden in einem ersten Schritt In-vitro-Experimente an Endothelzellen, die ein
zentraler Bestandteil der Bluthirnschranke sind, durchgeführt. Dabei wurden die Zellen
einem Sauerstoff-Glukose-Entzug ausgesetzt und anschließend im Standardmedium oder im
Standardmedium, welches zusätzlich Lithium enthielt, inkubiert. Im Anschluss wurden die
Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf das Zellüberleben und das
Expressionslevel von Zell-Zell-Kontakten, sogenannten Tight-Junction-Proteinen, analysiert.
In einem zweiten Schritt wurden In-vivo-Experimente an Mäusen, denen ein Schlaganfall
durch operative Okklusion der Arteria cerebri media induziert wurde, durchgeführt. Als
Kontrolle wurden zudem in ausgewählten Experimenten Scheingruppen eingesetzt, die das
gesamte Prozedere der Operation durchliefen, ohne eine tatsächliche Okklusion des Gefäßes. Im Anschluss erhielten die Mäuse je nach Gruppenzugehörigkeit eine Behandlung
mit Placebo (phosphatgepufferte Salzlösung), Lithium und/oder MEK-Inhibitor U0126. Als
Überlebenszeit (und damit zerebrale Reperfusionszeit) der Mäuse wurden 24 Stunden und
72 Stunden gewählt. Nach Ablauf dieser Zeiträume wurden die Durchlässigkeit der
Bluthirnschranke, die Expressionslevel der Tight-Junction-Proteine, die Leukozyteninfiltration
und die Mechanismen, die einen Einfluss auf die Stabilität der Bluthirnschranke haben,
untersucht.
Die In-vitro-Analysen zeigten ein erhöhtes Zellüberleben und eine verstärkte Expression der
Tight-Junction-Proteine Zonula occludens-1 und Occludin. Dies spricht für einen protektiven
Effekt von Lithium auf die Endothelzellen gegenüber dem Sauerstoff-Glukose-Entzug,
welcher ebenfalls mit einer erhöhten Integrität des Zellverbandes assoziiert ist. Analog dazu
zeigten auch die In-vivo-Analysen deutliche Effekte auf die Endothelzellen der
Bluthirnschranke durch Lithium. Hier führte die Lithiumgabe nach zerebraler Ischämie zu
einer reduzierten Durchlässigkeit der Bluthirnschranke, welche ebenfalls mit einer erhöhten
Expression der Tight-Junction-Proteine Claudin-1, Zonula occludens-1 und Occludin assoziiert
war. Zugleich führte die Lithiumbehandlung zu einer Reduktion der Expression und
Aktivität der Matrix-Metalloprotease 9, die eine Schlüsselrolle bei der postischämischen
Degradierung der Tight-Junction-Proteine hat. Des Weiteren führte Lithium zu einer
Modulation der Leukozyteninfiltration aus dem Blut in das Hirnparenchym durch eine
verringerte Expression des Intercellular adhesion molecule-1. Mechanistisch konnte die zentrale
Rolle der Aktivierung des MAPK-/MEK1/2-/ERK1/2-Signalwegs durch Lithium
identifiziert werden, da die Inhibierung dieser Aktivierung durch den MEK-Inhibitor U0126
zu einer Aufhebung des lithiumvermittelten Effekts auf die Durchlässigkeit der
Bluthirnschranke führte.
Zusammenfassend konnte in der vorliegenden Arbeit ein umfassendes Verständnis von
bisher unbekannten protektiven Wirkmechanismen von Lithium auf die Bluthirnschranke
nach zerebraler Ischämie erlangt werden. Insbesondere vor dem Hintergrund des Mangels
an adjuvanten Therapiemöglichkeiten bietet Lithium als bereits bei verschiedenen
Krankheitsbildern etabliertes Medikament eine herausragende Perspektive in der
Behandlung von Patienten mit ischämischem Schlaganfall. Für die Planung und
Durchführung weiterer dringend notwendiger klinischer Studien an ebendiesen Patienten
können die vorliegenden Einblicke in die Wirkmechanismen von Lithium einen bedeutenden
Beitrag leisten. | de |