Selbstbestimmtes Handeln am Lebensende – Autonomie und Vertrauen in der Interaktionsdynamik von Patient*innen und ihren Angehörigen
Self-determined action at the end of life – autonomy and trust in the interaction dynamics of patients and their relatives
by Antje Jung née Poleski
Date of Examination:2025-07-03
Date of issue:2025-06-05
Advisor:Prof. Dr. Friedemann Nauck
Referee:Prof. Dr. Friedemann Nauck
Referee:Prof. Dr. Alfred Simon
Referee:Prof. Dr. Heidi Hahn
Sponsor:Volkswagen Stiftung
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Name:Jung_Antje_Dissertation_20250529.pdf
Size:6.59Mb
Format:PDF
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Abstract
English
In addition to medical care, family members are an important foundation for patient autonomy. At the end of life, patients can only act independently with support—be it in everyday tasks or in mental support. This study scientifically investigates the extent to which trust, needs, action strategies, and self-determined decisions interrelate in the interaction dynamics between patients and family members. As part of a qualitative study, biographical-narrative interviews were conducted with patients (n=6) and narrative interviews with family members (n=6). A sample of three pairs was selected. The analysis of the transcribed interviews was conducted using Strauss and Corbin's grounded theory. The key finding is the core phenomenon of illness-adaptive experience. This can be observed in both patients and family members and is related to trust. Trust – interpersonal trust in physicians and especially in the relationship, but also self-confidence – is a foundation of security from the moment of diagnosis. Disease-adaptive experience essentially deals with how patients cope with illness at the end of life and influences their own needs and expectations of each other. When making self-determined decisions at the end of life, patients compare the life-prolonging therapies offered by doctors with their subjective quality of life. This personal decision is then placed in relation to the environment, especially when relatives do not support the decision made and the patient's disease-adaptive experience conflicts with the disease-adaptive experience of their relatives. In the tension between verbal and nonverbal conflicts, patients may change their initial decision. Furthermore, it can be observed that relatives often put their own needs aside in the dynamics of interaction to meet the needs of their sick partner. This is particularly evident in the adaptation and reorganization of everyday life. This reveals a redistribution of roles, rooted in the altered physical and cognitive capacities of the sick partner. This poses the risk of burdening or even overburdening relatives, which is another factor influencing self-determined decisions at the end of life. Patients' decisions are made to relieve the burden on their relatives, for example, by using care services or nursing facilities. The development and design of the disease-adaptive experience, both of patients and their relatives, from diagnosis to the end of life, is not static but rather processual, because self-determined actions and self-determined decisions always take place within social structures. For self-determination at the end of life to succeed, divergent perceptions of disease-adaptive experience should be recognized early in treatment decisions and openly communicated under guidance. The more systemic support relatives receive in caring for and in everyday life with their sick partners, the more freely patients can make their decisions based on their individual needs for the end of their lives.
Keywords: self-determined decisions; end of life; patient autonomy; family members; relatives; interaction; qualitative study; biographical-narrative interviews; illness-adaptive experience; trust
German
Angehörige sind neben der ärztlichen Betreuung ein wichtiges Fundament für die Patientenautonomie. Am Lebensende ist für die Erkrankten selbstbestimmtes Handeln nur mit Unterstützung – sei es bei alltäglichen Aufgaben oder bei der mentalen Begleitung – möglich. Inwieweit eine Wechselwirkung von Vertrauen, Bedürfnissen, Handlungsstrategien und selbstbestimmten Entscheidungen in der Interaktionsdynamik zwischen Patient*innen und Angehörigen besteht, wird in der vorliegenden Studie wissenschaftlich untersucht. Im Rahmen einer qualitativen Studie wurden biographisch-narrative Interviews mit Patient*innen (n=6) und narrative Interviews mit Angehörigen (n=6) geführt. Davon wurde eine Stichprobe von drei Paaren ausgewählt. Die Analyse der transkribierten Interviews erfolgte anhand der Grounded Theory nach Strauss und Corbin. Als zentrales Ergebnis ist das Kernphänomen Krankheitsadaptierendes Erleben hervorzuheben. Dieses ist sowohl bei Patient*innen wie auch Angehörigen festzustellen und steht im Kontext von Vertrauen. Vertrauen – interpersonales Vertrauen in Ärzt*innen und vor allem in die Paarbeziehung, aber auch Selbstvertrauen in die eigene Person – ist ab der Diagnosestellung sicherheitsspendendes Fundament. Das Krankheitsadaptierende Erleben befasst sich im Wesentlichen mit dem Umgang von Erkrankung am Lebensende und nimmt Einfluss auf eigene Bedürfnisse und Erwartungen an den jeweils anderen. Bei selbstbestimmten Entscheidungen am Lebensende setzen Patient*innen ärztlicherseits angebotene lebenszeitverlängernde Therapien in Relation zur subjektiven Lebensqualität. Diese persönliche Entscheidung wird dann in Relation zur Umwelt gesetzt, insbesondere dann, wenn Angehörige die getroffene Entscheidung nicht mittragen und das rankheitsadaptierende Erleben von Patient*innen mit dem Krankheitsadaptierenden Erleben ihrer Angehörigen in Konflikt gerät. Im Spannungsfeld von verbalen und nonverbalen Auseinandersetzungen ändern Patient*innen unter Umständen ihre initiale Entscheidung. Weiterhin ist festzustellen, dass Angehörige in der Interaktionsdynamik oftmals ihre eigenen Bedürfnisse zur Umsetzung der Bedürfnisse des erkrankten Partners zurückstellen. Dies zeigt sich insbesondere in der Anpassung und Neugestaltung des alltäglichen Lebens. Daran lässt sich eine Rollenumverteilung, begründet in den veränderten körperlichen und kognitiven Kapazitäten des erkrankten Partners, feststellen. Dies birgt die Gefahr der Be- bis Überlastung von Angehörigen, was ein weiterer einflussnehmender Faktor auf selbstbestimmte Entscheidungen am Lebensende ist. Hier werden Entscheidungen der Patient*innen zu Gunsten der Entlastung ihrer Angehörigen, zum Beispiel durch Nutzen von Pflegediensten oder Pflegeeinrichtungen, getroffen. Die Entwicklung und Ausgestaltung des Krankheitsadaptierenden Erlebens, sowohl von Patient*innen als auch ihren Angehörigen, von der Diagnosestellung bis zum Lebensende ist nicht statisch, sondern prozesshaft, weil selbstbestimmtes Handeln und selbstbestimmte Entscheidungen immer auch in sozialen Strukturen stattfinden. Damit Selbstbestimmung am Lebensende gelingen kann, sollten divergente Wahrnehmungen von Krankheitsadaptierendem Erleben frühzeitig bei Behandlungsentscheidungen wahrgenommen werden und angeleitet offen kommuniziert werden. Je mehr Unterstützung Angehörige systemseitig bei Pflege und Alltag mit ihren erkrankten Partner*innen erhalten, desto freier können Patient*innen ihre Entscheidungen anhand individueller Bedürfnisse für ihr Lebensende treffen.
Schlagwörter: Selbstbestimmte Entscheidungen; Lebensende; Patientenautonomie; Familienmitglieder; Angehörige; Interaktion; Qualitative Studie; Biographisch-narrative Interviews; Krankheitsadaptierendes Erleben; Vertrauen