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Paläopathologische Untersuchungen an prähistorischen Zähnen und Kieferfragmenten – ein Beitrag zur zahnmedizinisch-epidemiologischen Rekonstruktion einer neolithischen Population aus Erwitte-Schmerlecke (Soest, Galeriegrab I)

dc.contributor.advisorSchultz, Michael Prof. Dr. Dr.
dc.contributor.authorGernhardt, Johannes
dc.date.accessioned2019-08-15T09:27:56Z
dc.date.available2019-09-26T22:50:03Z
dc.date.issued2019-08-15
dc.identifier.urihttp://hdl.handle.net/21.11130/00-1735-0000-0003-C192-D
dc.identifier.urihttp://dx.doi.org/10.53846/goediss-7603
dc.language.isodeude
dc.rights.urihttp://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/
dc.subject.ddc610de
dc.titlePaläopathologische Untersuchungen an prähistorischen Zähnen und Kieferfragmenten – ein Beitrag zur zahnmedizinisch-epidemiologischen Rekonstruktion einer neolithischen Population aus Erwitte-Schmerlecke (Soest, Galeriegrab I)de
dc.typedoctoralThesisde
dc.title.translatedPalaeopathological investigations of prehistoric teeth and jaw fragments - a contribution to the dental-epidemiological reconstruction of a neolithic population from Erwitte-Schmerlecke (Soest, gallery grave I)de
dc.contributor.refereeMausberg, Rainer Prof. Dr.
dc.date.examination2019-09-19
dc.description.abstractgerDie vorliegende Arbeit ist Teil des DFG-Projekts „Genese und Struktur der hessisch-westfälischen Megalithik am Beispiel der Soester Gruppe“ im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1400 (SCHU 396/31/1-3). Sie befasst sich mit der paläopathologischen Untersuchung prähistorischer Zähne und Kieferfragmente aus dem jungsteinzeitlichen Galeriegrab I (Grab I) der Kollektivgrabnekropole in Erwitte-Schmerlecke (Kreis Soest). Das untersuchte Grab I wird anhand der Radiokohlenstoffdatierung von menschlichen Knochenproben auf das Jahr 3700 cal BC datiert. Trotz der komplexen archäologischen Ausgangssituation, die unter anderem diagenetischen Prozessen und der agrarwirtschaftlichen Nutzung des Grabfeldes geschuldet ist, wurden dank minuziöser Ausgrabungstechnik 6181 zumeist isolierte Zähne und Alveolarfächer sowie Zahn- bzw. Alveolarknochenfragmente gefunden. Hiervon konnten 2024 vollständig erhaltene permanente Zähne, die zum Teil nur minimale Schmelzverluste aufweisen, und 556 Regionen erhaltener Alveolarknochenfächer von Dentes permanentes identifiziert und befundet werden. Außerdem sind aus dem vorhandenen Untersuchungsgut 236 isolierte Dentes decidui sowie 51 Milchzahnalveolarfächer identifiziert und paläopathologisch untersucht worden. Im Allgemeinen können Zahnfunde aufgrund ihrer robusten Substanz als biohistorische Urkunden angesehen werden, die über Jahrtausende hinweg nicht nur Aufschluss über die Ätiologie zahnbezogener Erkrankungen der bestatteten Individuen geben. Im Speziellen lassen sich bei Kollektivgrabnekropolen begründete Aussagen über den systemischen Gesundheits- und Ernährungszustand, die Demographie und die soziokulturelle Einordnung ganzer Populationen treffen. Die paläopathologischen Untersuchungsergebnisse zu den Zahn- und Kieferfragmenten aus Grab I zeigen, dass die dort Bestatteten der spätneolithischen Wartbergkultur an multiplen Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparats litten. Als häufiges Krankheitsbild ist die Parodontopathie zu nennen. An 89,9 % der Dentes permanentes und 57,7 % der Dentes decidui lässt sich entweder eine Parodontitis oder Parodontose feststellen. Außerdem ist die große Mehrheit der Zähne von Abrasionen - 92,6 % der Dentes permanentes, 98,7 % der Dentes decidui - und einem Zahnsteinbefall - 70,8 % der Dentes permanentes, 51,8 % der Dentes decidui - betroffen. Caries wurde bei den Bestatteten aus Grab I selten diagnostiziert. Nur an 4,4 % der Dentes permanentes und 3,6 % der Dentes decidui können kariöse Läsionen festgestellt werden. Spuren eines apicalen Prozesses sind an 17 % der Dentes permanentes und 1,6 % der Dentes decidui feststellbar. Lineare transversale Schmelzhypoplasien treten nur an 7,5 % der Dentes permanentes und die punktförmige Schmelzhypoplasie an 1,2 % der Dentes permanentes auf. Die Dentes decidui weisen keine Schmelzhypoplasien auf. Insgesamt ist der Ernährungszustand der Population des Galeriegrabs I, soweit aus den Zahn- und Kieferfragmentbefunden beurteilbar, als hinreichend anzusehen. Abgesehen von Entwicklungsphasen während der Abstillperiode, sind nur selten linear transversale oder punktförmige Schmelzhypoplasien zu diagnostizieren, die Störungen in der Ameloblastenaktivität während der Schmelzbildung bekunden und als individuelle Stressmarker für Schwangerschaft und Kindheit gewertet werden können. Dieser Sachverhalt weist auf einen ausreichenden Ernährungszustand und eine geringe Infektionshäufigkeit hin respektive auf eine moderate psychische Stressbelastung der Individuen aus Grab I. Die vermehrt während der Abstillphase auftretenden linearen Schmelzhypoplasien lassen sich durch die Ernährungsumstellung der jungen Individuen und der häufig damit einhergehenden Mangelzustände (z. B. chronischer Vitamin-D-Mangel) erklären. Soziokulturell ist die untersuchte Population in die Phase der neolithischen Revolution einzuordnen. Die paläopathologischen Untersuchungen dieser Arbeit zeigen, dass nicht nur Jäger und Sammler, sondern auch Ackerbauern im Grab I aus Schmerlecke begraben wurden. Die für die Zeit eher seltenen Cariesfunde und häufigen Parodontopathien der untersuchten permanenten Zähne und Kieferfragmente deuten auf eine proteinreiche Ernährung hin, die durch eine Mehrzahl von bestatteten Jägern und Sammlern erklärt werden kann. Für eine reine Population von Jägern und Sammlern ist die Carieshäufigkeit jedoch zu hoch und passt nach aktuellem Stand der Literatur mit 4,4 % sehr genau in die Kategorie, die sowohl Jäger und Sammler als auch Ackerbauern einschließt. Auch die weiteren paläopathologischen Untersuchungsergebnisse dieser Arbeit decken sich mit dieser Erkenntnis. Der als neolithische Revolution definierte Wandel einer Population von Jägern und Sammlern hin zu sesshaften Ackerbauern kann als eine der tiefgreifendsten Umbrüche in der menschlichen Evolution angesehen werden. Die damit einhergehende Ernährungsumstellung der Individuen aus dem Schmerlecker Grab I spiegelt sich in ihren Zähnen und Kieferfragmenten wider und wurde durch die paläopathologischen Untersuchungen dieser Arbeit sichtbar gemacht. Die Ergebnisse dieser paläopathologischen Untersuchung und die Datierung des Grabs I auf 3700 cal BC zeigen, dass die neolithische Revolution in Schmerlecke bereits deutlich früher eingesetzt hat, als einige Archäologen für Europa annehmen. Die niedrigen Intensitäten linearer transversaler und punktförmiger Schmelzhypoplasien deuten außerdem darauf hin, dass der dargelegte sozioökonomische Gesellschaftswandel in der untersuchten Population offenbar ohne größere Nahrungsmittelarmut überwunden werden konnte. Außerdem wird aus dieser Untersuchung deutlich, dass die Nahrungsbestandteile zu Beginn der neolithischen Revolution deutlich abrasiver waren als beispielsweise in rezenten Populationen. Ein Blick auf die Unterschiede in den Carieshäufigkeiten zeigt zudem, dass die Caries in der prähistorischen Zeit im Vergleich zu modernen Gesellschaften von geringerer Relevanz war. Möglicherweise lässt sich hierbei der Ursprung des Anstiegs der Carieshäufigkeit in die Zeit des gesellschaftlichen Wandels von Jägern und Sammlern hin zu sesshaften Ackerbauern einordnen. Anhand der Untersuchungsergebnisse ist davon auszugehen, dass im Galeriegrab I aus Schmerlecke eine Mindestindividuenzahl von 446 Individuen, die in etwa älter als 6 Jahre ± 9 Monate waren, begraben wurde. Durch die Identifizierung der Dentes decidui konnten darüber hinaus 30 weitere Individuen, die jünger als 6 Jahre ± 9 Monate waren, zugeordnet werden. Daher kann für das Grab I eine Gesamtindividuenanzahl von mindestens 476 Bestatteten angenommen werden. Weitere Nachforschungen müssen zeigen, ob am in der Arbeit vorgestellten besonderen Fund des Zahns 46 eine Art Bohrloch gefunden werden konnte, das ein Beleg für eine proto-zahnmedizinische Intervention der untersuchten Population darstellen würde. Detaillierte Aufschlüsse über die Ernährungsweise der untersuchten Individuen könnten außerdem Untersuchungen sogenannter Mikroabrasionen der Zähne und die DNA-Analysen des Mikrobioms im Zahnstein liefern, die Anhaltspunkte für die Nahrungsmittelbestandteile und deren Beschaffenheit geben. Insgesamt liefert diese in der Paläopathologie erstmalig an einem so stark fragmentierten Fundgut durchgeführte interdisziplinäre Untersuchung von zumeist isoliert vorliegenden prähistorischen Zähnen und Kieferfragmenten wertvolle Einblicke in die Sozialstruktur, den Ernährungszustand und die Lebensumstände einer prähistorischen Bevölkerung während der neolithischen Revolution. Es konnte damit gezeigt werden, dass sich selbst bei komplexen archäologischen Ausgangssituationen repräsentative Ergebnisse erzielen lassen, die in Zukunft vergleichende Analysen mit anderen Kollektivgräbern ermöglichen sollen.de
dc.description.abstractengThe present work is part of the DFG project "Genesis and structure of the Hessian-Westphalian megalithic using the example of the Soester group" within the framework of the DFG priority Program 1400 (SCHU 396/31 / 1-3). It deals with the palaeopathological examination of prehistoric teeth and jaw fragments from the Neolithic gallery grave I (grave I) of the collective grave in Erwitte-Schmerlecke (district of Soest). The investigated grave I is dated from the radiocarbon dating of human bone samples to the year 3700 cal BC. Despite the complex archaeological situation, which is due to diagenetic processes and the agricultural use of the grave field, 6181 mostly isolated teeth and alveolar sockets as well as tooth and alveolar bone fragments were found thanks to minute excavation techniques. Of these, 2024 fully preserved permanent teeth, some with only minimal enamel loss, and 556 regions of preserved alveolar bone sockets of permanent teeth were identified and diagnosed. In addition, 236 isolated deciduous teeth as well as 51 deciduous alveolar sockets were identified and examined palaeopathologically. In general, because of their robust substance, dental findings can be regarded as biohistorical documents that, over thousands of years, not only shed light on the aetiology of tooth-related diseases in buried individuals. In particular, collective grave cults can make well-founded statements about the systemic health and nutritional status, the demographics and the socio-cultural classification of whole populations. The palaeopathological examination results on the tooth and jaw fragments from grave I show that those buried there in the late Neolithic Wartberg culture suffered from multiple diseases of the teeth and the periodontal area. A common disease is the periodontal disease. In 89.9% of permanent teeth and 57.7% of deciduous teeth can be detected a periodontal disease. In addition, the vast majority of teeth are affected by abrasions (92.6% of permanent teeth, 98.7% of deciduous teeth) and calculus infestation (70.8% of permanent teeth, 51.8% of deciduous). Caries was rarely diagnosed among the burials of grave I. Carious lesions can only be detected on 4.4% of permanent teeth and 3.6% of deciduous teeth. Traces of an apical process can be detected in 17% of the permanent teeth and 1.6% of the deciduous teeth. Linear transversal enamel hypoplasias occur only at 7.5% of the permanent teeth and punctually enamel hypoplasia at 1.2% of the permanent teeth. The deciduous teeth have no enamel hypoplasias. Overall, the nutritional status of the population of Galeriegrabs I, as far as the tooth and jaw fragment findings can be assessed, is regarded as sufficient. Apart from stages of development during the weaning period, it is rare to diagnose linear transversal or punctually enamel hypoplasias, which may indicate disturbances in ameloblast activity during enamel formation and may be considered as individual stress markers for pregnancy and childhood. This situation points to a sufficient nutritional status and a low infection frequency respectively to a moderate mental stress burden of the individuals from grave I. The increased incidence of linear enamel hypoplasia during the decommissioning phase can be explained by the change in diet of the young individuals and the often associated deficiency states (for instance chronic vitamin D deficiency) Socio-culturally, the investigated population is classified in the phase of the Neolithic revolution. The palaeopathological investigations of this work show that not only hunters and gatherers but also farmers were buried in grave I from Schmerlecke. The occasionally rare caries findings and frequent periodontal disease of the examined permanent teeth and jaw fragments indicate a high-protein diet, which can be explained by a large number of hunters and gatherers buried. However, for a pure population of hunters and gatherers, the caries frequency is too high and, according to the current state of the literature, at 4.4% fits very well into the category that includes hunters and gatherers as well as farmers. Also, the other palaeopathological findings of this work coincide with this finding. The transformation of a population of hunter-gatherers to sedentary farmers, defined as the Neolithic Revolution, can be considered one of the most profound changes in human evolution. The associated change in diet of the individuals from the Schmerlecker grave I is reflected in their teeth and jaw fragments and was made visible by the palaeopathological investigations of this work. The results of this palaeopathological study and the dating of grave I at 3700 cal BC show that the Neolithic Revolution in Schmerlecke has already begun much earlier than some European archaeologists assume. The low intensities of linear transversal and punctually enamel hypoplasias also indicate that the socioeconomic change described in the investigated population appears to have been overcome without major food poverty. In addition, it is clear from this study that the food components at the beginning of the Neolithic revolution were significantly more abrasive than, for example, in recent populations. A look at the differences in caries frequencies also shows that the caries in the prehistoric era was less relevant compared to modern societies. It may be possible to classify the origin of the increase in caries frequency in the period of social change from hunters and gatherers to sedentary farmers. On the basis of the results of the investigation it can be assumed that a minimum number of 446 individuals older than 6 years ± 9 months were buried in gallery grave I from Schmerlecke. In addition, the identification of deciduous teeth identified 30 additional individuals younger than 6 years ± 9 months. Therefore, for the grave I a total number of individuals of at least 476 burials can be assumed. Further research is required to show whether the type of drill hole on lower right first molar that was presented in the study could be used to find evidence of pre-dental intervention in this population. Detailed information on the nutritional habits of the studied individuals could also provide studies of so-called microabrasions of the teeth and DNA analysis of the microbiome in tartar, which provide clues to the constituents of the food and their nature. Overall, in palaeopathology, this interdisciplinary study of mostly isolated prehistoric teeth and jaw fragments, which has been carried out for the first time in such highly fragmented findings, provides valuable insights into the social structure, nutritional status and living conditions of a prehistoric population during the Neolithic Revolution. It could thus be shown that even in complex archaeological situations, representative results can be obtained which in the future should enable comparative analyzes with other collective graves.de
dc.contributor.coRefereeBremmer, Felix PD Dr.
dc.subject.gerPaläopathologiede
dc.subject.gerArchäologiede
dc.subject.gerAnthropologiede
dc.subject.gerKariesde
dc.subject.gerMegalithikde
dc.subject.gerSoester Gruppede
dc.subject.gerParotondopathiende
dc.subject.gerApikale Prozessede
dc.subject.gerZahnsteinde
dc.subject.gerAbrasionde
dc.subject.gerNeubildungende
dc.subject.gerSekundärdentinde
dc.subject.gerHyperzementosede
dc.subject.gerSchmelzhypoplasiede
dc.subject.gerProto-Zahnmedizinde
dc.subject.gerErnährungszustandde
dc.subject.gerIndividuenzahlde
dc.subject.gerSchmerleckede
dc.subject.gerGaleriegrabde
dc.subject.gerneolitische Revolutionde
dc.subject.gerJäger und Sammlerde
dc.subject.gerAckerbauernde
dc.subject.engpalaeopathologyde
dc.subject.engarcheologyde
dc.subject.enganthropologyde
dc.subject.engcariesde
dc.subject.engmegalithicde
dc.subject.engSoester groupde
dc.subject.engperiodontal diseasesde
dc.subject.engapical processde
dc.subject.engtartarde
dc.subject.engabrasionde
dc.subject.engneoplasmde
dc.subject.engsecundary dentinde
dc.subject.enghypercementosisde
dc.subject.engenamel hypoplasiade
dc.subject.engpre-dentistryde
dc.subject.engnutritional statusde
dc.subject.engnumber of individualsde
dc.subject.engSchmerleckede
dc.subject.enggallery gravede
dc.subject.engneolithic revolutionde
dc.subject.enghunters and gatherersde
dc.subject.engsedentary farmersde
dc.identifier.urnurn:nbn:de:gbv:7-21.11130/00-1735-0000-0003-C192-D-5
dc.affiliation.instituteMedizinische Fakultätde
dc.subject.gokfullMedizinische Statistik / Biometrie / Epidemiologie - Allgemein- und Gesamtdarstellungen (PPN619875046)de
dc.description.embargoed2019-09-26
dc.identifier.ppn1672307449


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