Die ethische Problematik von Scheinoperationen in der medizinischen Forschung
Eine ethische Analyse unter Berücksichtigung der Ansichten von Personen mit Morbus Parkinson und von Angehörigen an Morbus Parkinson erkrankter Personen
by Linda Hofmann
Date of Examination:2023-09-21
Date of issue:2023-08-08
Advisor:Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Referee:Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Referee:Prof. Dr. Jürgen Brockmöller
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Format:PDF
Abstract
English
The publication was about to analyze the ethical problems arrising from sham surgerys. There have been some examples in liturature that show that sham surgeries or sham treatment have been performed in several studies. The main question of this work was if sham surgeries are ethical or not? I wanted to answer the question whether sham surgeries should be performed or not to recieve correct data on certain performances and in which way to perform them. There is an ethical debate on this about how risks and benefits should be concidered and evaluated. Some like R. Macklin argue that sham surgeries should be forbidden in general because it is too dangerous for the participant. Others like Freeman argue that you can only gain methodological right results with double blind studies that involve sham treatment. A special focus was to determine how patients with Parkinsons disease and familiy members of patient with Parkinson's disease evaluate these kind of studies. Therefore I designed a questionnaire and we started a survey among these two groups (175 patient, 175 family members). In the questionnaire there were two real study scenarios which should be evaluated by the participants. The first setting was a study with neurosurgery in comparison with a sham surgery, the second setting was an arthroscopic knee surgery in comparsion with a sham intervention. It was a quantitative analysis of the returned forms which was analyzed with the programme statistika. Depending on the cases the participants evaluated the risks and benefits differently and where partly willing to participate in such a study, so I concluded that the topic of sham surgery should include patients or affected persons. The survey showed that there is an interest in this topic but literature and studies in this field are rare. Finally the results where discussed in the context of the 4 principal ethics of beauchamps and childress.
Keywords: sham surgery; sham treatment; sham intervention
German
Die Zielsetzung der Arbeit war die Ansichten von Personen mit Morbus Parkinson und Angehörigen parkinsonkranker Personen zum Einsatz von Scheinoperationen in der Kontrollgruppe klinischer Studien zu erheben und im Kontext der ethischen Debatte zur Thematik darzustellen. Es sollte die zentrale Frage beantwortet werden, ob Forschung unter Einsatz von Scheineingriffen in der Kontrollgruppe ethisch zulässig ist und welche Kriterien bei der Umsetzung berücksichtigt werden sollten. Dazu wurde zunächst untersucht, ob solche Forschung überhaupt praktische Relevanz hat. Wie die exemplarischen Studienbeispiele aus der Literatur zeigen, welche in dieser Arbeit angeführt werden, gibt es zahlreiche Studien mit Scheineingriffen in der Kontrollgruppe zur Überprüfung unterschiedlicher medizinischer Eingriffe. Die Analyse der Studienergebnisse dieser Beispiele zeigte, dass Scheinoperationen eine effektive Methode sind, um die Wirksamkeit neuer operativer Therapieverfahren zu überprüfen. Die Erprobung solcher invasiver Behandlungen mit Scheinoperationen in der Kontrollgruppe hat bereits dazu geführt, dass fast alle diese Therapieansätze wieder verlassen wurden, und hat somit vermutlich vielen Patienten eine unnütze Behandlung erspart. Im Rahmen dieser Dissertation wurde die Sicht von potentiell betroffenen Patienten und Angehörigen mithilfe eines faktoriellen Surveys erhoben. Hierbei sollte unter anderem untersucht werden, ob der Einsatz von Scheinoperationen zu Forschungszwecken von ihnen als ethisch vertretbar eingeschätzt wird und wie hoch die Teilnahmebereitschaft in der jeweiligen befragten Gruppe wäre. Es wurde dazu eine quantitative Fragebogen-Studie mit Mitgliedern der Deutschen Parkinsonvereinigung (n = 81) durchgeführt. Der Fragebogen enthielt neben einigen allgemeinen Fragen zur medizinischen Forschung zwei Fallvignetten, die bewertet werden sollten. Beide in den Fallvignetten abgebildeten Beispiele von Scheinoperationen, die den Befragten vorgestellt wurden, sind in der dargestellten Weise im Rahmen von medizinischen Studien durchgeführt worden. Der erste Fall beschrieb eine Studie zur neurochirurgischen Operation mit Stammzelltransplantation, der zweite Fall eine Studie zur Kniegelenksspiegelung. Da aus Gründen der Umsetzbarkeit zunächst nur ein recht kleines Kollektiv befragt werden konnte (175 Erkrankte/ 175 Angehörige) und die Rücklaufquote insgesamt eher gering war (23 %), sind die Antworten nicht repräsentativ, und eine statistische Analyse nur bedingt aussagekräftig; jedoch kann eine Meinungstendenz daraus abgeleitet werden. Anhand der Befragung wurde deutlich, dass sowohl an Morbus Parkinson Erkrankte als auch Angehörige Parkinsonkranker medizinische Forschung generell für wichtig halten. Ein Großteil der Befragten ist der Meinung, dass es sowohl die Aufgabe der Ärzte als auch die der Patienten ist, sich an medizinischer Forschung zu beteiligen. Die Arbeit zeigt aber auch, dass der Einsatz von Scheinoperationen auch unter den Befragten umstritten ist und einigen von ihnen Scheinoperationen eher kritisch gegenüber stehen. Fast die Hälfte der Befragten hielt den Einsatz von Scheinoperationen für vertretbar, etwas weniger als die Hälfte lehnte den Einsatz von Scheinoperationen ab. Da Scheinoperationen von den Befragten nicht per se abgelehnt wurden, lässt sich daraus schließen, dass ihnen zumindest nicht prinzipiell vorenthalten werden sollte zu entscheiden, ob sie an einer Scheinoperation teilnehmen wollen oder nicht, eine umfassende informierte Einwilligung vorausgesetzt. Dies ist ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Arbeit, weil es erlaubt, grundsätzliche, vermeintlich aus Patientensicht formulierte Einwände gegen Scheinoperationen zu entkräften. Anschließend wurden die Ergebnisse der Befragung im Rahmen der ethischen Debatte diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass es in der Diskussion über den Umgang von Scheinoperationen in der klinischen Forschung bisher keine einheitlichen Regelungen gibt und sich kaum Experten oder Fachgruppen mit dieser Thematik beschäftigen bzw. an der Erstellung von praxisnahen Regularien arbeiten. Die Recherche konnte zeigen, dass sich die einschlägigen ethischen Richtlinien mit Aspekten der Placeboforschung befassen, zu dem speziellen Aspekt von Scheineingriffen jedoch nur in den CIOMS-Guidelines Stellung genommen wird. Meine Analyse der ethischen Literatur zu Scheineingriffen ergab, dass sich die Befürworter von Scheineingriffen, wie Albin und Miller, besonders auf den Nutzen für die Gruppe der Erkrankten (Gemeinwohl) konzentrierten und risikoärmere Eingriffe wie die Kniegelenksarthroskopie in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellten. Zusätzlich heben sie den Aspekt der methodischen Notwendigkeit hervor. Die Gegner von Scheineingriffen, wie Macklin, halten die Risiken einer Operation ohne erwarteten Nutzen für den Einzelnen prinzipiell für unzumutbar. In ihrer Argumentation fokussieren die Gegner insbesondere auf risikoreichere Verfahren wie die neurochirurgische Operation bei Parkinsonpatienten und stellen den individuellen Nutzen bzw. Schaden in den Mittelpunkt. Die Ergebnisse der Befragung wurden anschließend anhand der Vier-Prinzipenethik von Beauchamp und Childress analysiert und in den Kontext der medizinethischen Debatte eingeordnet. Hierbei wurde deutlich, dass eine Zuordnung und Gewichtung der einzelnen Argumente anhand der vier Prinzipien Autonomie, Wohltun, Nichtschaden und Gerechtigkeit sehr schwierig ist, da es bei vielen medizinethischen Problemen nicht möglich ist, zwei oder mehr miteinander konkurrierenden Prinzipien gleichermaßen gerecht zu werden. Zusätzlich können sich die Prinzipien Wohltun und Nichtschaden entweder auf den Einzelnen oder eine Gruppe von Erkrankten beziehen, so dass man bei der Diskussion sehr präzise zwischen diesen beiden unterscheiden muss. Die finale Bewertung muss sich letztlich dem großen Konflikt zwischen der Notwendigkeit guter evidenzbasierter Forschung einerseits und dem individuellen Probandenschutz andererseits widmen. In meiner Untersuchung wurde deutlich, dass Patienten und ihre Angehörigen die Notwendigkeit medizinischer Forschung, auch mithilfe von Scheineingriffen, bejahen und eine Teilnahme an solchen Studien nicht grundsätzlich ausschließen. Da Scheinoperationen eine besonders invasive Form der Placeboforschung darstellen und bisher selten eingesetzt werden, wäre möglicherweise eine spezialisierte Ethikkommission sinnvoll, die bei solchen Studiendesigns herangezogen wird.
Schlagwörter: Scheinoperation; Scheineingriff; Scheinbehandlung