Zahnärztliche Diagnostik und Versorgung von Demenzpatient*innen in non-Compliance-Situationen
Dental diagnostics and care for people with dementia in non-compliance-situations
von Johann Seeberg
Datum der mündl. Prüfung:2024-01-25
Erschienen:2024-01-03
Betreuer:Dr. Michael Belz
Gutachter:Dr. Michael Belz
Gutachter:Prof. Annette Wiegand
Dateien
Name:Seeberg_Johann_Dissertation110723.pdf
Size:1.79Mb
Format:PDF
Zusammenfassung
Englisch
The aim of this dissertation is to use a descriptive questionnaire study to show how dentists and nursing staff assess the refusal attitudes of patients with dementia in treatment and care situations and what the level of knowledge of both professional groups is in this regard. Three central research questions were derived. These included (1) checking the level of knowledge among dentists and nursing staff regarding refusal postures and pain diagnosis in dementia patients, (2) connecting refusal postures during treatment or care with oral pain conditions, (3A) the analysis of differences between the two professional groups in the perception of pain-related refusal attitudes. In addition, it should be determined whether (3B) within the nursing staff the assessment between a dental treatment-like situation such as daily dental care and an everyday situation such as eating differ, since patients are seen in different contexts. A total of 110 dentists and 107 nurses took part. The evaluation of the data queried revealed clear differences between the professional groups in terms of (1) level of knowledge: While over half of the nursing staff were well versed in special pain scales, this was the case for less than a quarter of the dentists. Awareness of the selected refusal attitudes was to a similar extent in both professional groups, with slight advantages for the nursing staff. In their assessment of both the frequency and the relationship between the resistance reaction and the severity of the dementia, the values for the entire sample were well above the midpoint of the scale. No major differences between the professional groups could be identified. Regarding a (2) possible connection between refusal postures and painful events in the oral cavity, it was found that, on the one hand, the participants were not sure that they could generally conclude that there was oral pain based on the behavior of the dementia patients. On the other hand, most of them were convinced that those patients developed increased intraoral abnormalities and diseases. In the comparison of both professional groups, the nurses were significantly more confident (3A) in their assessment that pain is the cause of refusal postures, that pain in the oral cavity can be inferred based on behavior and that there is a connection between dementia and a greater sense of pain. For the most part, no differences in perception could be found within the nursing staff regarding (3B) the dental care and food intake situation. : Significant deficits in the knowledge of pain scales were found among dental practitioners. The reasons for this may lie in the structure of the course and the low economic incentives for taking part in further training courses. Although the nursing staff performed better, overall, they remained below expectations, even though the relevant training and examination regulations for the nursing professions expressly provide for competencies for caring for people with acute or chronic pain. The high proportion of nursing assistants may be the reason, as their reduced training standards cannot meet this requirement. In other areas too, the carers were mostly more confident in their assessment of the connections between the severity of dementia, the occurrence of pain in the oral cavity and resistance reactions. It is possible that the closer relationships that nurses have with patients in nursing homes and the length of contact that nurses experience with the same patients lead to a relationship pattern that results in a more convincing evaluation. Overall, the results must be viewed against the background of very different treatment circumstances and times. Both professional groups form their assessments based on an intersection of physical and psychological overload, empathy, and potentially different basic knowledge. Considering the existing literature, recommendations for structured further training for both professional groups regarding the treatment of cognitively impaired patients are discussed. The following studies are considered useful to explore several aspects of this dissertation study.
Keywords: dental care of people with dementia; care-resistant-behavior; pain scale
Deutsch
In der vorliegenden Dissertation sollte anhand einer deskriptiven Fragebogenstudie aufgezeigt werden, wie Zahnärzt*innen und Pflegekräfte Verweigerungshaltungen von demenzerkrankten Patient*innen in Behandlungs- und Pflegesituationen einschätzen und wie sich der Wissensstand beider Berufsgruppen diesbezüglich darstellt. Es wurden drei zentrale Forschungsfragestellungen abgeleitet. Diese umfassten (1) die Überprüfung des Wissensstandes bei Zahnärzt*innen und Pflegepersonal in Bezug auf Verweigerungshaltungen und Schmerzdiagnostik bei demenzkranken Patient*innen, (2) das in Verbindung bringen von Verweigerungshaltungen während der Behandlung, bzw. Pflege mit oralen Schmerzzuständen, (3A) die Analyse auf Unterschiede zwischen beiden Berufsgruppen bei der Wahrnehmung schmerzbedingter Verweigerungshaltungen. Darüber hinaus sollte ermittelt werden, ob (3B) innerhalb des Pflegepersonals die Einschätzung zwischen einer zahnbehandlungsähnlichen Situation wie der täglichen Zahnpflege, und einer alltäglichen Situation wie Nahrungsaufnahme voneinander abweichen, da Patient*innen hier in unterschiedlichen Kontexten gesehen werden. Insgesamt nahmen 110 Zahnärzt*innen und 107 Pflegende teil. Die Auswertung der abgefragten Daten ergab beim (1) Wissensstand deutliche Unterschiede zwischen den Berufsgruppen: Während sich über die Hälfte der Pflegekräfte mit speziellen Schmerzskalen gut auskannte, war dies bei weniger als einem Viertel der Zahnärzt*innen der Fall. Die Bekanntheit der ausgesuchten Verweigerungshaltungen war bei beiden Berufsgruppen in ähnlichem Maß ausgeprägt, mit leichten Vorteilen für das Pflegepersonal. In ihrer Einschätzung sowohl zur Häufigkeit als auch zur Relation zwischen Widerstandsreaktion und Schwere der Demenzerkrankung lagen die Werte für die Gesamtstichprobe deutlich über dem Skalenmittelpunkt. Größere Unterschiede zwischen den Berufsgruppen ließen sich nicht ermitteln. Bezüglich eines (2) möglichen Zusammenhangs zwischen Verweigerungshaltungen und schmerzhaftem Geschehen in der Mundhöhle konnte festgestellt werden, dass sich die Teilnehmenden einerseits nicht sicher waren, aufgrund des Verhaltens der demenzerkrankten Patient*innen generell auf orale Schmerzen schließen zu können. Andererseits waren sie mehrheitlich überzeugt, dass jene Patient*innen verstärkt intraorale Auffälligkeiten und Erkrankungen entwickelten. Im Vergleich beider Berufsgruppen waren sich (3A) die Pflegenden signifikant sicherer in ihrer Einschätzung, dass Schmerzen Ursachen für Verweigerungshaltungen sind, aufgrund des Verhaltens auf Schmerzen in der Mundhöhle geschlossen werden kann und dass es einen Zusammenhang zwischen demenzieller Erkrankung und stärkerem Schmerzempfinden gibt. Innerhalb des Pflegepersonals konnten bezüglich (3B) der Zahnpflege- und Nahrungsaufnahmesituation größtenteils keine Unterschiede in der Wahrnehmung gefunden werden. : Es wurden deutliche Defizite der zahnärztlichen Behandler*innen bei der Kenntnis von Schmerzskalen gefunden. Gründe dafür liegen möglicherweise im Aufbau des Studiums und an geringen wirtschaftlichen Anreizen für die Teilnahme an Fortbildungsangeboten. Das Pflegepersonal schnitt zwar besser ab, bleibt in der Gesamtbetrachtung aber unter den Erwartungen, obwohl die zuständige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe ausdrücklich Kompetenzen für die Versorgung von Menschen mit akuten oder chronischen Schmerzen vorsieht. Möglicherweise ist der hohe Anteil an Pflegehelfer*innen ursächlich, da deren reduzierter Ausbildungsstandard diesen Anspruch nicht einhalten kann. Auch in anderen Bereichen waren sich die Pflegenden zumeist sicherer in der Einschätzung hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen Stärke der Demenz, Schmerzvorkommen in der Mundhöhle und Widerstandsreaktionen. Möglicherweise führt die engere Beziehung, die Pflegende zu Patient*innen in Pflegeheimen haben und die Kontaktdauer, die Pflegende mit denselben Patient*innen erleben, zu einem Beziehungsmuster, das eine überzeugtere Bewertung nach sich zieht. Insgesamt müssen die Ergebnisse vor dem Hintergrund stark unterschiedlicher Behandlungsumstände und -zeiten betrachtet werden. Beide Berufsgruppen bilden sich ihre Einschätzungen in einer Schnittmenge von physischer und psychischer Überlastung, Empathie und potentiell unterschiedlichem Grundwissen. Unter Berücksichtigung der bestehenden Literatur werden Empfehlungen für strukturierte Fortbildung beider Berufsgruppen bezüglich der Behandlung von kognitiv eingeschränkten Patient*innen diskutiert. Nachfolgenden Studien sind als sinnvoll anzusehen, um mehrere Aspekte dieser Dissertationsstudie tiefergehend zu beleuchten.
Schlagwörter: zahnärztliche Versorgung von demenzerkrankten Patient*innen; Verweigerungshaltung; non-Compliance-Situationen; Schmerzdiagnostik