Ursachen und Häufigkeit der Arthrose und Enthesopathien an den Unterextremitäten der neolithischen Population aus Erwitte-Schmerlecke (Soest, Grab II) – Ein Beitrag zur Rekonstruktion einer neolithischen Population
Causes and Frequency of Arthritis and Enthesopathies in the Lower Extremities of the Neolithic Population from Erwitte-Schmerlecke (Soest, Grave II) – A Contribution to the Reconstruction of a Neolithic Population
by Konstantin Schütz
Date of Examination:2023-11-21
Date of issue:2023-11-02
Advisor:Prof. Dr. Dr. Michael Schultz
Referee:Prof. Dr. Dr. Michael Schultz
Referee:Prof. Dr. Gabriela Lewinski
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Format:PDF
Abstract
English
The skeletal remains examined in this study are from Grave II of the Neolithic gallery graves of Erwitte-Schmerlecke. The collective is attributed to the Wartberg culture, an archaeological culture of the Neolithic period. The graves were used over a period from around 3500 to about 2800 BC. Since these are collective graves, meaning that complete skeletons are not found within them, but only individual bones, specific bones, primarily long bones, were considered. In this study, the focus was on the following bone types of the lower extremities: Os coxae, Os femoris, Patella, Tibia, Fibula, Calcaneus, and Os metatarsale hallucis. The investigations included the occurrence of enthesopathic changes caused by ligaments and tendons, wear patterns indicative of arthritis, and other stress markers manifested on the bone surface through the periosteum. This raised questions about age- and gender-specific changes that might provide insight into sexual dimorphism related to occupational or physical activities. In comparison to contemporary individuals living in the same region, the individuals from Grave II had a significantly lower stature. The average height for men was 169 cm and for women, it was 156 cm, showing a distinct sexual dimorphism. This dimorphism was also observed in the robustness of the long bones and the development of muscle markings. Both parameters were more pronounced in male individuals, indicating a gender-specific role that appeared to involve increased physical strain on male individuals. Overall, the skeletal remains from Schmerlecke exhibit clear morphological changes resulting from physical stress. Additionally, there were indications that those buried in Schmerlecke often travelled long distances on uneven terrain on foot. While these people were not high-performance athletes, they likely covered significant distances on foot daily. The presence of frequent physical stress markers also suggests that this population may have been representative of a nomadic society. This theory is further supported by the presence and particularly the development of muscle markings on the femur, suggesting that some of the individuals frequently and intensively rode horses, possibly starting in childhood. A consistent physical load is likely the reason for the relatively mild expression of arthritic changes. Adequate muscle control and the development of strong ligaments probably protected the joints of the lower extremity from degenerative changes. The low degree of degenerative changes can also be partially explained by the relatively young age at which the individuals died. It is noteworthy that, compared to modern populations, gonarthrosis played a less central role. The results of the osteological examination of the Schmerlecke skeletal remains suggest that this population was probably not a purely agricultural society.
Keywords: enthesopathies; Wartberg culture; Palaeopathology; Archaeology; Anthropology; Soester group; megalithic; neolithic; hunters and gatherers; nomads; sedentary farmers; degenerative joint disease; trauma; arthritis; histology; living conditions
German
Die in dieser Arbeit untersuchten Skeletfunde entstammen dem Grab II der neolithischen Galeriegräber von Erwitte-Schmerlecke. Das Kollektiv wird zur Wartbergkultur gezählt, also einer archäologischen Kultur des Neolithikums. Die Gräber wurden über einen Zeitraum zwischen 3500 bis etwa 2800 v. Chr. genutzt. Da es sich um Kollektivgräber handelt, d.h. in diesen Gräbern liegen keine vollständigen Skelete, sondern nur Einzelknochen vor - fanden nur bestimmte Knochen - und hier vorwiegend Röhrenknochen, Berücksichtigung. In dieser Arbeit wurde sich aus Gründen der Knochenerhaltung auf folgende Knochentypen der unteren Extremitäten beschränkt: Os coxae, Os femoris, Patella, Tibia, Fibula, Calcaneus und Os metatarsale hallucis. Die Untersuchungen umfassen das Auftreten enthesopathischer Veränderungen, die durch Bänder und Sehnen verursacht wurden, Verschleißspuren im Sinne einer Arthrose sowie weitere Stressmarker, die sich über das Periost an der Knochenoberfläche manifestiert hatten. Die Untersuchungen umfassten neben der makroskopischen und lupenmikroskopischen Begutachtung der Knochen, auch Betrachtung von Knochendünnschliffen unter Mikroskop sowie Röntgenuntersuchungen von ausgewählten Knochen. Dabei erhob sich die Frage nach alters- und geschlechtsspezifischen Veränderungen, die möglicherweise Aufschluss über Sexualdimorphismus im Rahmen von beruflichen oder körperlichen Tätigkeiten geben. Im Vergleich zu den Menschen, die heute in der gleichen Region leben, wiesen die Individuen aus dem Grab II eine deutlich niedrigere Körperhöhe auf. Mit einer durchschnittlichen Körperhöhe der Männer von 169cm und der Frauen mit 156cm bestand außerdem ein deutlicher Geschlechtsdimorphismus. Dieser konnte ebenfalls bei der Robustizität der Langknochen und der Ausbildung von Muskelmarken beobachtet werden. Beide Parameter sind bei den männlichen Individuen nämlich deutlicher ausgeprägt, was auf eine geschlechtsspezifische Aufgabe hindeutet, die offenbar mit einer erhöhten körperlichen Belastung der männlichen Individuen einherging. Insgesamt weisen die Skeletfunde aus Schmerlecke deutliche morphologische Veränderungen auf, die durch körperliche Belastung verursacht wurden. Zudem bestanden Hinweise, dass die in Schmerlecke Bestatteten lange Strecken zu Fuß auf unebenem Untergrund zurücklegten. Obwohl es sich bei diesen Menschen sicherlich nicht um Hochleistungssportler gehandelt hat, dürften sie doch täglich größere Strecken zu Fuß zurückgelegt haben. Außerdem legen die Untersuchungsergebnisse aufgrund der häufig auftretenden physischen Stressmerkmale den Schluss nahe, dass es sich bei dieser Population um Vertreter einer Nomadengesellschaft gehandelt haben dürfte. Diese These wird zudem gestützt durch den Nachweis und hier besonders die Ausprägung von Muskelmarken am Femur, dass offenbar ein Teil der Bestatteten häufig und intensiv, wohl schon ab dem Kindesalter geritten ist. Eine gleichmäßige physische Belastung ist wohl auch der Grund für die vergleichsweise milde Ausprägung der arthrotischen Veränderungen. Vor allem eine suffiziente Muskelführung und die Ausbildung starker Bänder dürften die Gelenke der Unterextremität vor degenerativen Veränderungen bewahrt haben. Die geringgradige Ausbildung degenerativer Veränderungen erklärt sich sicherlich auch teilweise durch das vergleichsweise junge Sterbealter der Bestatteten. Auffällig ist, dass im Vergleich zu heutigen Populationen die Gonarthrose eine weniger zentrale Rolle spielte. Die Ergebnisse der osteologischen Untersuchung an den Schmerlecker Skeletfunden deuten daher darauf hin, dass es sich bei dieser Population wohl nicht um eine reine Ackerbauerngesellschaft gehandelt hat.
Schlagwörter: Archäologie; Anthropologie; Soester Gruppe; Megalithik; Neolithik; Schmerlecke; Jäger und Sammler; Nomaden; Ackerbauern; degenerative Gelenkerkrankungen; Trauma; Arthrose; Arthrose; Histologie; Lebensbedingungen; Geschlechtsdimorphismus; Enthesopathien